20.12.2023
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10 Min

Jagen in Ungarn

Zwischen Schauflern

Das ungarische Revier Lábod ist bekannt für seine guten Bestände an Rot- und Damwild. Bernd Helbach besuchte das Ausnahmerevier während der Hochzeit der Schaufler.

Zwischen Schauflern

Bild: Mihaly Horvath

Die Sonne kündigt sich am Horizont soeben an. Ein blau-schwarzer Streifen lässt den Tag erahnen. Doch im Wald ist schon reges Treiben. Auf leisen Sohlen pirscht Balazs Iger voran. Der 32-Jährige ist nicht nur gelernter Berufsjäger, er ist auch Förster. Ein Baum von einem Kerl. Plötzlich bleibt er stehen, ein kurzer Blick durchs Fernglas, dann geht er weiter. Erst jetzt erkenne ich den sich leicht bewegenden Schatten im Wald. Ein Damhirsch, der immer wieder knörend in Richtung Brunftplatz zieht. Dass dort vor uns einer dieser magischen Hochzeitsorte ist, braucht mir der junge Ungar nicht zu verraten. Das pausenlose Rülpsen der Schaufler zieht mich schon in den Bann, seit wird den Pick-up verlassen haben – Gänsehaut pur! Mir kommt die Stelle bekannt vor: 2021 war ich zu Nachbrunft der Rothirsche schon einmal in Lábod. Ein Pirschgang begann genau an diesem Hochsitz, auf den Balazs nun zumarschiert. Sehr vorsichtig müssen wir nicht sein.Das Konzert um uns herum hat mittlerweile eine Lautstärke erreicht, die Flüstern fast obsolet macht. Mit einem lauten Krachen schlagen 4 Schaufeln gegeneinander. Kaum haben wir den Hochsitz erreicht, beobachten wir den ­intensiven Kampf zwischen den Rivalen. Im leicht matschigen Untergrund schieben sie sich mal 1 m in die eine, dann wieder in die andere Richtung. Das Spiel dauert etwa 1 min, dann lösen sich die Kontrahenten, feiern ihren Kampf mit ein paar Rufen und passieren die lange Schneise, in deren Umfeld etwa 10 Hirsche permanent melden. Zwischen den männlichen Vertretern der Cerviden bewegen sich Alttiere, Schmaltiere und Kälber mal langsam, mal im schnellen Troll hin und her.

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Das Wohnhaus von Dr. Laszlo Studinka steht etwas versteckt ­im Wald von Lábod. (Bild: Bernd Helbach)

Wir baumen ab, denn Balazs hat keinen passenden Hirsch gefunden. Er sucht nach einem abnormen und alten Hirsch. Davon, so erklärte er am Tag zuvor, gibt es mittlerweile mehr als genug. In den vergangenen Jahren hat die Anzahl der abnormen Geweihe überproportional zugenommen. Woher das kommt, wissen die Berufsjäger der SEFAG nicht genau, doch sie haben eine Vermutung: Ein Pilz soll daran schuld sein. Dieser Schimmelpilz, der auch für die Herstellung von Penizillin genutzt wird, entwickelt ein ­Toxin, wenn er trockenfällt. In den vergangenen Jahren ­waren der April und der Mai rund um Lábod jeweils sehr trocken. Gerade dann, wenn die Schaufler ihre Geweihe abwarfen, setzten die abgestorbenen Pilze ihre Sporen und damit das Gift frei. Die Vermutung, dass die Toxine in die kurzzeitig noch offenen Rosenstöcke eindrangen, liegt nah. Untersuchungen dazu sind an der Universität in Budapest angelaufen, mit der die Waidmänner eng zusammenarbeiten, und die Ergebnisse werden sehnlichst erwartet. Ebenso stellten die Berufsjäger auch fest, dass die Fertilität der Samen bei befallenen ­Hirschen nachlässt. Eine besorgniserregende Beobachtung für einen Betrieb, der hauptsächlich von der Jagd lebt. Kurzum wurde beschlossen, die Abschussquoten auf beidseitige Schaufler etwas zu senken, dafür die abnormen Hirsche schärfer zu bejagen.

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Ein Abnormer hat sich niedergetan. Balazs hat ihn im Glas, der Autor versucht, ihn über seine Schulter hinweg zu bestätigen. (Bild: Ingo Tesch)

Langsam und weitaus vorsichtiger ­pirschen wir nun am Brunftplatz vorbei zu einem weiteren. Einem kaum zu ­erkennenden Pfad im Wald folgend, ­nähern wir uns einer großen Freifläche. Wieder verhofft der Magyar. Allein dass er seinen Pirschstock zu Hilfe nimmt, um das Fernglas zu unterstützen, zeigt mir, dass er etwas entdeckt hat. Behutsam mache ich den Hals lang und luge über die Schulter des bald 2 m großen Mannes. Keine 30 m vor uns hat sich ein Hirsch niedergetan. Auch ich will mir den Recken mit dem Glas ­anschauen und habe ihn gerade als ­abnormen angesprochen, dessen rechte Stange ein Spieß und die linke eine Schaufel ausgebildet hat, da wird er schon hoch. Plötzlich wird alles sehr hektisch: Nach 2, 3 Fluchten verhofft der Hirsch verdeckt hinter Sträuchern. Während Balazs den ganzen Raum seiner Schritte ausnutzt, tripple ich hinterher. Etwa 30 m dauert unser Spurt, währenddessen der Berufsjäger bereits den Pirschstock aufgeklappt und für den Schuss bereithält. Der Abnorme hat uns aber spitzgekriegt und zieht weiter eilig von uns weg. Wir setzen noch mal nach. Uns nur den Spiegel zeigend, zieht der Hirsch weiter. Etwa 120 m ist er bereits weg, jedoch nah genug für einen Schuss. Kaum dass ich die Waffe gebettet habe, dreht er sich für einen kurzen Moment zur Seite, macht aber ­sofort kehrt und verschwindet nun im Troll im Wald auf der anderen Seite. Chance verpasst! Etwas enttäuscht ­blicken wir uns an, doch ich habe bereits gestern an einem anderen Brunftplatz gesehen, wie viel Damwild hier seine Fährten zieht. Eine neue Gelegenheit wird kommen, und der Morgen ist noch jung. Balazs klappt den Schießstock zusammen, ich schultere die Waffe, und weiter geht die Pirsch.

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Kurz nach dem Schuss springt das Kahlwild sofort in Richtung Wald ab. Vereinzelt kommen Schaufler aus den Brunftkuhlen hoch und folgen den Angebeteten. (Bild: Bernd Helbach)

Wie erfolgreich die Berufsjäger jedes Jahr ihre Gäste rund um das Revier Lábod führen, wird bei der alljährlichen Trophäenschau der SEFAG offensichtlich. Vor 2 Jahren habe ich während meines ersten Aufenthalts daran teilnehmen können. 180 Rothirsche und etwa 70 Damhirsche säumten die Wege rund um das Jagdhaus Nagysaller – alle im laufenden Jagdjahr erlegt! Auch in diesem Jahr fand diese beeindruckende Schau statt, leider war ich 2 Tage zu spät. Die SEFAG ist ­eines der größten Wildwirtschaftsunternehmen des ­Landes. Aufgeteilt in 8 Reviere, betreibt die Firma auf einem Gebiet von 104 000 ha Forst- und Landwirtschaft sowie Jagd, ­wobei Letzteres der bestimmende Faktor ist, dem sich die beiden anderen Sparten unterordnen. Das Jagdhaus Nagysaller liegt inmitten eines Waldes und war der Rückzugsort für die erkrankte Tochter des ­Grafen Pal Szechenyi. Die Gebäude aus der Zeit stehen heute noch und werden weiterhin verwendet – etwa als Kornspeicher oder Heulager. Neben einer kleinen Kapelle steht auch ein Museum zu Ehren des Berufsjägers und ­Autors Dr. Laszlo Studinka auf dem Gelände. Er prägte ­Lábod zu dem, was es heute ist, denn er schuf aus einem Niederwild- ein Hochwildrevier, und durch seine Geschichten – auch in der WILD UND HUND – sowie ­Bücher machte er es weit über die Grenzen Ungarns bekannt und zu einem Sehnsuchtsort vieler ausländischer Jäger.

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Unermüdlich werben die Schaufler auf den Brunftplätzen für sich. Ihr Rufe sind in Feld und Wald weit zu hören. (Bild: Mihaly Horvath)

Auch im Wald ist nun der Tag angekommen. Etwa 200 m vor uns kann ich eine Heidefläche erahnen, auf die der ­Hühne vor mir zuhält. 50 m vor dem Waldrand bleiben wir stehen. Beide glasen wir die vor uns liegende Fläche ab. Bei etwa 20 Hirschen, die ich erkenne, höre ich auf zu zählen. Nicht nur die ständige Bewegung, die schiere Anzahl an Damwild macht es schwer, den Überblick zu bewahren. Plötzlich durchzuckt es uns beide. Rund 180 m vor uns kommt ein Abnormer aus seiner Brunftkuhle hoch. Links kann ich einen Spieß erkennen, rechts hat er eine Schaufel ausgebildet. „Wie alt?“, frage ich leise, das Glas noch auf den Recken gerichtet. „Ich schätze 9. oder 10. Kopf. Der passt!“, erklärt ­Balazs. In seiner zitternden Stimme schwingt Aufregung mit. „Guter Hirsch“, schiebt er nach, „den kenne ich nicht“. Die Distanz ist noch etwas weit, also pirschen wir in einer Linie, um die ­Silhouette so gering wie möglich zu halten, zum Waldrand. „120 m“, flüstert der Berufsjäger. Auf mein Nicken stellt er den Pirschstock auf. Ich bette die Waffe darauf und entsichere. Der ungedämpfte Schuss durchbricht die Brunft­rufe der anderen Hirsche. Das Projektil fasst etwas weit hinten, und der Abnorme springt in Richtung Wald­rand ab. Nach einer kurzen Wartezeit gehen wir zum Anschuss. Erst jetzt nimmt uns das Damwild auf der Freifläche wahr und springt ab. Hier und da verlassen ­vereinzelt Schaufler ihre Brunftkuhlen und eilen den anderen Stücken hinterher. Als wir den Waldrand erreichen, entdecke ich den Hirsch. Schwerfällig steht er noch auf den Läufen, und eine 2. Kugel lässt ihn blitzartig zusammen­brechen. Am Stück zeigt sich, dass das erste Projektil keinen Ausschuss produzierte. Überglücklich nehme ich den Hirsch in Besitz. Auch Balazs ist sofort zur Stelle und haut mir vor lauter abfallender Last mit seiner großen Pranke auf die Schulter – begleitet von einem herzlichen „Waidmannsheil!“ Wie sich im Zielfernrohr schon zeigte, hat der Hirsch an seiner linken Stange eine Augsprosse und einen Spieß geschoben. Die Schaufel rechts ist ebenfalls außergewöhnlich ausgebildet. Als wäre nichts passiert, beginnen die Hirsche um mich herum wieder zu ­melden. Während ich auf den Pick-up warte, genieße ich ausgiebig das Konzert ­zwischen den Schauflern.

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Der Schuss saß: Nach einer kurzen Flucht kommt der abnorme Damhirsch schließlich im Wald zum Liegen. (Bild: Ingo Tesch)

Autor: Bernd Helbach