17.02.2025
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6 Min

Der „Bargfelder“ – Teil 2

Zurück im Brook

Seit Juli ist in Schleswig-Holstein ein Hirsch besendert. Nachdem er in der Brunft eine erstaunliche Reise vom Duvenstedter Brook in den Segeberger Forst machte, stellte er sich wieder in der Nähe von Hamburg ein. Doch von Ruhe keine Spur. Frank Zabel

Zurück im Brook

Bild: Henning Neuhoff

Das Wanderverhalten des Rotwildes ist ein faszinierender Aspekt seiner Ökologie. Seine nähere Betrachtung zeigt, wie eng diese große Wiederkäuerart mit seiner Umwelt verbunden ist oder zumindest war, bis der Mensch zum entscheidenden Faktor in seinem Lebensraum wurde. Den Großteil des Jahres verbringt es jedoch nicht auf Wanderschaft, sondern in seinen saisonalen Einstandsgebieten.

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Der „Bargfelder“ nach der Brunft 2024 im Brook, von wo er über 30 km weit in den Segeberger Forst gewechselt war. (Bild: Gernot Maaß)

Nach der Brunft stehen die Hirsche vor der Herausforderung, ihre Energiereserven innerhalb kürzester Zeit wieder aufzufüllen und sich schnellstmöglich auf die äsungsarme Jahreszeit und das Schieben ihrer neuen Geweihe vorzubereiten. Diese Zeit verbringen sie idealerweise nur mit Äsen, Ruhen und Wiederkäuen. Der optimale Lebensraum hierfür bietet deshalb auch Deckung, Äsung und Ruhe auf engstem Raum. Ruhe vor Pilzsammlern, Ruhe vor Geocatchern, Ruhe vor Wanderern, Ruhe vor Mountainbikern und ja, auch Ruhe vor der Jagd!

Nachdem der „Bargfelder“ am 28. September, nach seiner 4-wöchigen Brunftwanderung, wieder wohlbehalten im Duvenstedter Brook angekommen war, schien für ihn zunächst auch wirklich alles nach Plan zu laufen. Für 2,5 Wochen spielte sich sein Leben auf ziemlich genau 100 ha ab, und wie es ausschaut, verbrachte er die ganze Zeit mit Äsen, Ruhen und Wiederkäuen. ­Alles war so, wie es sein sollte, und wäre es nach dem „Bargfelder“ gegangen, so hätte es wohl auch das ganze Winterhalbjahr hindurch so bleiben können.

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Im Wintereinstand will sich Rotwild nur noch energiesparend bewegen. Das Bewegungsprofil weniger Tage zeigt deutlich, dass das Streifgebiet auf nur 100 ha liegen kann. (Bild: Frank Zabel)

Doch dann kam plötzlich alles anders. Die Ruhe war schlagartig vorbei, und es trieb ihn kreuz und quer durch den Brook. Quasi über Nacht vergrößerte sich sein Streifgebiet um das 7-Fache, von 100 ha auf über 700 ha, wobei er sich teilweise auch deutlich außerhalb des Brookes aufhielt. Dieses Verhalten war äußerst untypisch, und von Ruhe war plötzlich keine Spur mehr. Hinsichtlich der Ursachen lässt sich leider nur spekulieren. Fakt ist jedoch, dass die Bejagung der Schalenwildarten im Brook deutlich verschärft wurde.

„Der Wildschaden sei zu hoch, und der Bestand an Schalenwildarten müsse deutlich reduziert werden“, wurde sinngemäß als Begründung seitens der Hamburger Behörden hierfür genannt.Wildschaden in einem durch Wie­sen, Moore, Heideflächen, Bäche und Bruchwälder gekennzeichneten Na­tur­­­­schutzgebiet? Wäre der Bioinge­nieur und Lebensraumgestalter Rotwild nicht sogar bestens geeignet, diese Freiflächen kostenlos vor Verbuschung zu schützen und freizuhalten? Wäre der Brook, der zusammen mit den angrenzenden Schutzgebieten auf Schleswig-Holsteiner Seite gut 1 500 ha umfasst, nicht sogar bestens geeignet, einen Ruhepol zu schaffen, um so den Druck von den angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen zu nehmen? Vielleicht sogar nach dem MoorRotWildnis-Modell der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein? Es hätte sicherlich viele zeitgemäßere Alternativen gegeben, aber es war nun leider genauso gekommen.

Was exakt den „Bargfelder“ so beunruhigt hat und ob es eventuell eine Verknüpfung mehrerer Faktoren war, das lässt sich nicht mit Gewissheit nachvollziehen. Der erhöhte Jagddruck wird jedoch zweifelsohne ein wesentlicher Faktor gewesen sein, der nicht gerade zur Beruhigung des Naturschutzgebietes beigetragen hat.
Als wäre das nicht schon genug gewesen, so drang die Unruhe dann aber leider auch in den Vorstand der grenzüberschreitenden Hochwildhegegemeinschaft vor, wo der Streit über die Art und Weise der Bewirtschaftung der Schalenwildarten dann im Austritt der Reviere der Hansestadt Hamburg gipfelte. Ein Schritt, der zweifelsohne das Zeug zur Tragödie hat. Bedeutet er doch, dass die sorgsame Bestandsführung, die über Jahrzehnte hinweg dazu geführt hat, dass ein jeder Hirsch spätestens ab dem 3. Kopf namentlich bekannt war und nur junge und wirklich reife Hirsche erlegt wurden, jetzt der Vergangenheit angehört. Welche Konsequenzen das für die Rotwildpopulation in der Region und für Wanderhirsche wie den „Bargfelder“ hat, dass bleibt abzuwarten. Fakt ist jedoch, dass die Hamburger Reviere allein für eine zeitgemäße Rotwildbewirtschaftung zu klein sind. Angesichts der genetischen Verarmung der Bestände sollten Rotwildringe gestärkt und vernetzt und nicht in ihre Einzelteile zerschlagen werden.

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Wildkamerafoto des Besenderten im Dezember an einer Kirrung. Durch Störungen ist der Hirsch komplett nachtaktiv geworden. (Bild: Harald Fuchshirsche)

Zumindest die Tagaktivität des von vielen Hamburgern liebgewonnenen Rotwilds, das zur Brunft oft Hunderte von Besuchern an die Aussichtsplattformen im Brook zog, wird wohl vorerst der Vergangenheit angehören. Die Brunft 2024 gab schon einen kleinen Vorgeschmack darauf.

Anders als die beteiligten Personen hat sich der „Bargfelder“, immerhin schon ein reifer Hirsch vom 10. Kopf, mittlerweile wieder mit der Lage arrangiert und ist zu einem für die Jahreszeit normalen Raumnutzungsverhalten zurückgekehrt. Seit 2 Monaten bewegt er sich nun wieder auf etwas über 100 ha, verbringt die hellen Stunden des Tages in Dickungen, am äußersten Rand des Brooks, auf Hamburger Seite, um dann im Schutze der Dunkelheit auf die angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen in Schleswig-Holstein zu wechseln. Wie sich dieses Verhalten auf die Wildschäden an den forstlichen Kulturen auswirkt, das mögen andere beurteilen. Es bleibt jedoch zu vermuten, dass er auf den Heide- und Moorflächen im Brook besser aufgehoben wäre.

Wir hoffen sehr, dass der „Bargfelder“ die turbulenten Zeiten gut übersteht und sein Sender uns noch möglichst lange Einblicke in sein Raumnutzungsverhalten bietet. Wir werden Sie hier auf jeden Fall über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten.

Autor: Frank Zabel