Drückjagd in Schweden
Vorsicht bei Sau, Hirsch und Hund
Der Süden Schwedens ist bekannt für seine starken Böcke, Schaufler und hohen Schwarzwildbestände. Bernd Helbach nahm dort an einer besonderen Drückjagd teil, deren Freigaben es in sich hatten.
Bild: Hersteller
Generell war die Ansprache des Jagdleiters an diesem Morgen Augen und Münder öffnend. Für die gesamte Gruppe – bestehend aus 21 Jägern – wurde ein Damhirsch freigegeben. Damit der Abschussplan nicht übererfüllt würde, stattete man jeden Schützen mit einem Funkgerät aus. Sobald also jemand den Schaufler erlegt bzw. beschossen hat, muss er dies kundtun und gleichzeitig Bescheid geben, ob das Stück liegt oder eine Nachsuche nötig ist. Im Falle einer Kontrolle würde sofort ein Gespann zum Schützen kommen und an die Arbeit gehen. Zum einen, um den Abschuss zu bestätigen, zum anderen wird es im winterlichen, hohen Norden ca. 1 bis 1,5 Std. früher dunkel als in Deutschland. Rehwild wird komplett geschont. Wir jagen auf dem Gebiet des Börringe Jagdklubs, östlich von Malmö. Der Süden Schwedens ist bekannt für sein starkes Rehwild, gerade die Böcke erreichen immer wieder Rekordgewichte. Wer dennoch ein Stück auf die Decke legt, und dabei ist es egal ob Bock oder Ricke, muss ebenfalls mit seinem Geldbeutel dafür gerade stehen: 1 500 €. Doch damit der möglichen Strafen nicht genug: 10 000 € werden ohne Diskussion noch am selben Tag einem Hundeführer entweder zur Kompensation oder zur Behandlung gegeben, wenn ein Schütze dessen Vierläufer verletzt oder erschießt. Ich persönlich begrüße diese Ansage, die bei manchem Jagdteilnehmer gerade aus den südlichen Gefilden Europas die Augen vor Schreck größer werden lassen, gehe ich doch seit geraumer Zeit mit meinem Hund bei Drückjagden mit durch. Die Begründung des Jagdleiters: „Die Vierläufer sind keine Werkzeuge für den Hundeführer, sie sind in erster Linie Familienmitglieder. Wir alle wollen heute Abend gesund wieder nach Hause kommen. Das wünscht sich sicherlich jeder. Doch das höchste Risiko tragen die Vierläufer und damit auch ihre Hundeführer.“ Einige Tipps gibt er uns Schützen an die Hand: „Ist ein Hund im Umkreis von 15 m um ein Stück, bleibt der Finger darauf gerade. Ist der Vierläufer auch im weiteren Hintergrund, dann sowieso. Bei den Sauen solltet ihr euch auf die braunen konzentrieren. Und wenn ihr das Stück vor euch nicht exakt als Damwild ansprechen könnt, solltet ihr auch nicht schießen. Abschließend: Schießt nicht weiter als 70 m.“ Das hört sich für mich alles nach Binsenweisheiten an, doch nach der Ansage zeigt so manches Gespräch unter den Jägern aus ganz Europa, wie beeindruckt und unsicher der ein oder andere ist.
Plötzlich sehe ich einen Frischling an mir vorbeiwechseln. Eine gescheckte Wutz, weiß mit schwarzen Punkten. Leider ist der Schwarzkittel außerhalb meiner Reichweite. Ich verfolge ihn mit den Augen und sehe, wie er sich unter einer kleinen Fichte einschiebt. Der Plan der Wutz geht nicht auf, denn wenige Minuten später erscheint ein laut rufender Treiber mit seinem Vierläufer. Klammheimlich versucht der 35-kg-Frischling, Reißaus zu nehmen, keine 30 m weit von meinem Drückjagdbock entfernt. Kurz verhofft die Wutz, sichert noch mal in Richtung Hund, da durchbricht der gedämpfte Schussknall der „S 101 Silence“ die Ruhe im Forst. Blitzartig bricht die Wutz zusammen. Ich repetiere sofort, bleibe mit dem Rotpunkt auf dem Stück. Dann bin ich mir sicher, der Frischling ist verendet. Ich schmunzle ein wenig, denn heute morgen hieß es noch: Wir sollen keine schwarzen Sauen schießen. Dann nehme ich zur Sicherheit lieber die weiße. Der Gedanke geht mir noch durch den Kopf, als plötzlich von hinten ein starker Rothirsch anwechselt. Hirsche sind im Gegensatz zu Kahlwild und Kälbern nicht frei, also schaue ich dem König der Wälder hinterher und genieße den Anblick.
Beim deftigen Mittagessen kehrt langsam wieder die Wärme in die kalten Glieder zurück. Viele Erlebnisse von Erlegungen und Sichtungen werden erzählt, doch den Damhirsch hat noch keiner gestreckt. Das letzte Treiben des Tages steht an, und aufgeregt geht es ins Revier, denn es soll das Kerngebiet des Damwilds bejagt werden. Ich baume auf meinen Drückjagdbock auf, der direkt an einem Teerweg steht. Vor mir liegt eine Grünfläche, die durch eine breite Hecke geteilt wird. Bis zum Ende des Busches sind es etwa 120 m. Rechts und links kann ich etwa 300 m weit blicken. Hinter mir ist ein 30 m breiter, aber steiler Abhang, der direkt in das Ufer eines großen Sees übergeht. Wenn Wild anwechselt, dann sicher dort, denn damit es über die Pläne zieht, wird wohl mächtig Druck von Seiten der Hunde nötig sein – das ist zumindest mein Gedanke. Kaum ausgedacht, sehe ich schon die erste Rotte über den Acker flüchten. An einen Schuss ist nicht zu denken, denn es ist zu weit – ca. 200 m, und im Hintergrund verläuft eine Straße. Immer wieder kann ich Lkws oder die Dächer von Autos vorbeihuschen sehen. Kein Hund ist hinter den Sauen, die aufgereiht über die Freifläche wechseln. Doch habe ich einen der Mitjäger vor wenigen Minuten in diese Richtung gehen sehen, um an seinen Stand zu kommen. Die Sauen scheinen recht locker zu liegen und für mich ungewöhnliche Wechsel zu nutzen. Auch das Damwild ist heute schnell auf den Läufen, denn etwa 30 Min. später flüchten rund 40 Stücke auf dem gleichen Wechsel wie die Wutzen. Doch verschwinden sie nicht im nächsten Schwarzdorn, sondern verhoffen mitten auf dem Acker, in alle Richtungen sichernd. Eine hervorragende Strategie, denn keiner der Jäger, die ich von hier aus sehen kann, könnte auch nur annähernd einen sicheren Schuss abgeben.
Plötzlich sehe ich im linken Augenwinkel eine Bewegung. Ganz geruhsam ziehen 2 Schaufler im Schritttempo von links auf das Ende der vor mir liegenden Hecke zu. Das noch immer verhoffende Rudel rechts vom Busch können sie nicht sehen. In der Ferne sind viele Schüsse und immer wieder giftiges Hundegeläut zu hören. Es dauert Minuten, bis die Hirsche auch nur die Hälfte der Strecke hinter sich haben. Für mich macht es den Anschein, dass sie die Spitze der Hecke umgehen wollen und somit auf Schussentfernung mit passendem Kugelfang meinen Stand passieren könnten. Innerlich mache ich mich schon fertig, entsichere die Waffe schon einmal. Dann knarzt es etwas unverständlich aus dem Funkgerät: „Hirsch tot!“ Der Jagdleiter wiederholt: „An alle Jäger in Börringe Estate, der Damhirsch liegt. Es ist keiner mehr frei!“ Die Sicherung wieder nach hinten geschoben, schaue ich den beiden Schauflern beim Vorbeiwechseln etwas wehmütig auf rund 50 m nach. Aufgeschlossen zum sichernden Rudel, kommt Bewegung in die Stücke, und der gesamte Tross wechselt gemächlich an einem Mitjäger vorbei, ohne ihm eine Chance auf einen Schuss zu gewähren. Dann kommt schon per Funk das Signal „Jagd vorbei!“. Am Streckenplatz freuen sich alle mit dem Erleger des Hirsches, einem jungen Schweden, der seinen ersten Schaufler gestreckt hat. Beim abschließenden Abendessen wird ausgiebig erzählt, gelacht, aber auch über die für viele ungewöhnlichen Beschränkungen und hohen Strafen diskutiert. Doch alle sind sich einig: Letztlich hat es bei uns allen zu einem umsichtigeren und sauberen Jagen geführt.
Autor: Bernd Helbach