Erneuerbare Energien benötigen ungeheure Flächen. Jetzt soll am Pellinger Berg im Saarland ein Solarpark ausgerechnet auf einer Wildbrücke gebaut werden. Christoph Boll beleuchtet den Konflikt, in dem die Interessen von Wildtieren dem Klimaschutz geopfert werden sollen.
Die Bedeutung von Wanderkorridoren für den Genaustausch von Rotwildpopulationen ist längst unstrittig. Umso unverständlicher ist es, wenn alte Fernwechsel zerstört werden. Genau dies droht nach Ansicht von Jägern und Naturschützern auf dem Pellinger Berg im Saarland. Dort soll ein fast 30 ha großer Solarpark entstehen. Die Befürworter sehen darin einen wichtigen Beitrag zum Ausbau regenerativer Energien und damit zur Begrenzung des Klimawandels. Kritiker sprechen von einem „Schildbürgerstreich, der mittelfristig zum Erlöschen von einheimischen Wildtierpopulationen im Saarland und Rheinland-Pfalz führt“, so Leiter Jörg Lohrig in der Stellungnahme der Rotwild-Hegegemeinschaft (RHG) Saarländischer Hochwald zu dem Vorhaben. Denn der Pellinger Berg ist die einzige wesentliche Verbindung zwischen den Rotwild Lebensräumen Pfälzer Wald/Nordvogesen sowie dem kleinen saarländischen Vorkommen im Landkreis Merzig-Wadern auf deutscher Seite und dem nächstgelegenen französischen Vorkommen im Massif de la Canner.
Seine besondere wildökologische Bedeutung bekam der Pellinger Berg durch den Bau der Autobahn 8. Nur wenige Kilometer entfernt von der luxemburgischen Grenze wurde dort 1997 ein 596 m langer Autobahntunnel mit 2 Röhren im Gebiet der Gemeinde Mettlach fertiggestellt. Der Rücken des Tunnels bietet allem Wild die Möglichkeit, den Sperrriegel A8 zu überwinden. Und genau auf diesem Rücken sowie beiderseits westlich entlang der Autobahn bis zu 900 m lang soll der Solarpark Wehingen entstehen.

Luftbild des Wildübergangs am Pellinger Berg. In der markierten Fläche soll der Solarpark entstehen. (Bild: Google.maps)
Einstimmig hat der Gemeinderat Mettlach im Dezember 2022 die dazu nötige Aufstellung eines Bebauungsplanes und die Änderung des Flächennutzungsplanes beschlossen. Vom notwendigen Einsatz gegen den Klimawandel, der Förderung der Biodiversität durch das Anlegen „einer Blühwiese und die damit im Vergleich zur bisherigen intensiven landwirtschaftlichen Nutzung durchaus erwartete naturschutzfachliche Aufwertung des Geländes“, protokolliert die Internetseite der Gemeinde aus der Sitzung. Für einen Großteil der Flächen des Plangebietes seien bereits mit den Grundstückseigentümern entsprechende Nutzungsverträge geschlossen worden.
Als „Unding“ bezeichnet Kurt Robinius, Vorsitzender der NABU-Ortgruppe Mettlach-Perl, das Vorhaben. In der Beurteilung ist sich der Naturschützer, der selbst Jäger ist, mit der organisierten Jägerschaft auf allen Ebenen einig. Koste der Neubau einer Wildbrücke sonst zwischen 10 und 14 Mio. €, so gebe es eine solche auf dem Pellinger Tunnel zum Nulltarif. Und die wolle man nun zerstören.
Ganz ähnlich argumentiert Lohrig, der den Übergang als „absoluten neuralgischen Punkt“ bezeichnet. Seit mehreren Jahren identifiziere und dokumentiere die RHG mit einem Monitoring der Verbundachsen (Fernwechsel) des Rothirsches zu dem benachbarten Rotwildlebensraum „Kedange-sur-Canner/Bullay" im Departement Moselle ebenso wie die Versuche der Hirsche, in den Rothirschlebensraum Pfälzerwald/Nordvogesen oder aus diesem heraus in den saarländischen Hochwald zu wandern. Weil diese Versuche „in aller Regel an den unüberwindbaren Barrieren der Autobahnen und Siedlungsverdichtungen“ endeten, sei der Tunnelrücken die einzige zur Verfügung stehende Überquerungsmöglichkeit. Eine Bebauung darauf oder im Umfeld führe zu weitreichenden Konsequenzen, denn „der Schutz der Umwelt durch regenerative Energien wird an dieser sensiblen Stelle in mehr als törichter Weise verfehlt“. Die RHG verweist auf zahlreiche Nachweise und Sichtungen junger Hirsche in der Umgebung des Pellinger Berges in jüngster Zeit.

Die Karte zeigt deutlich, dass es zwischen den Rotwildvorkommen in Frankreich und dem Saarland nur eine schmale Verbindung gibt. (Bild: Quelle: VJS/chb)
Landesjägermeister Josef Schneider hofft auf ein Einlenken der Gemeinde Mettlach, die in dieser Frage alleiniger Inhaber des Planungsrechts ist. Der Tunnelrücken sei ein Hochplateau. Da gebe es genügend andere Flächen. Allerdings bietet der bislang geplante Standort der großen Photovoltaik-Anlage durch einen unweit bereits vorhandenen Solarpark des selben Betreibers und einen nahen Windpark bereits eine Anbindung ans Stromnetz. Die müsste an anderer Stelle erst für viel Geld geschaffen werden. Beim Tunneldach als Standort kann es für Schneider nur bleiben, wenn die Größe des Solarparks „deutlich eingeschränkt“ würde. Sonst komme es zwangsläufig zur Unterbrechung des Jahrhunderte alte Rotwild-Fernwechsels. Der Landesjägermeister verweist auf ein Gutachten, das die Vereinigung der Jäger des Saarlandes (VJS) beim Institut für Tierökologie und Naturbildung im hessischen Groß-Gerau in Auftrag gegeben hat. Das stellt in seiner umfangreichen Analyse fest, „der bislang im Saarland realisierte und im Planungsrecht verbindlich geschützte Biotopverbund erscheint mit Blick auf den Bebauungsplan ,Solarpark Wehingen‘ und die aktuellen Konflikte am Pellinger Berg nicht ausreichend, um wichtige Wildtierverbindungen auf Landesebene zu schützen oder gar zu optimieren“.
Im Fazit des Papiers heißt es zusammenfassend: „Aufgrund nicht vorhandener weiterer, günstig gelegener und weit dimensionierter Wildtierquerungsmöglichkeiten entlang der BAB A8 im Saarland erscheint die Wildbrücke Pellinger Berg für die Verbindung von Wildtierpopulationen und wandernde Großsäugetiere von besonderer Bedeutung. Umgebende und randliche Bebauungen und Einzäunungen schränken die Funktionalität erheblich ein. 60 bis 70 % der effektiven Breite der Wildtierpassage gehen nach aktuellem Planungsstand durch den Solarpark verloren. Aufgrund der Einzigartigkeit dieser Wildtierquerung ist daher jegliche Bebauung abzulehnen. Eine Einschränkung des Korridors durch Bebauung würde zudem planungsrechtlich eine enorm kostenaufwendige Kompensation durch einen Wildbrückenneubau an anderer, ebenso geeigneter Stelle bedeuten.“
Deutlich anders bewertet Mettlachs Bürgermeister Daniel Kiefer die Situation, wenngleich er einräumt: „In der Sache schlagen 2 Herzen in meiner Brust.“ Immerhin ist er selbst Jäger und VJS-Mitglied. Beruflich aber sieht er sich dem Wohl der Gemeinde verpflichtet. Und die erwartet durch den Bau der großen Photovoltaik-Anlage jährlich bis zu 35 000 € EEG-Umlage und zusätzlich Gewerbesteuereinnahmen. Viel Geld für eine klamme kleine Kommune mit gut 3 000 Einwohnern, die vornehmlich als Hauptsitz des Keramikunternehmens Villeroy & Boch bekannt ist.

Bürgermeister Daniel Kiefer ist zwar selbst Jäger, will aber den Solarpark auf dem Tunneldach für die Gemeinde durchsetzen. (Bild: Lukas Wawotschni)
Kiefer verweist darauf, dass ein Teil des Tunneldachs sowieso frei bleibe und das von Bertram Mestermanns Büro für Landschaftsplanung im Auftrag des Projektunternehmens Abo Wind AG beauftragte Gutachten als Kompromiss zusätzlich einen 25 m breiten Korridor vorschlage. Es würden zwar 57 % der Querungsfläche auf dem Tunneldach verriegelt und es ergebe sich von Westen aus „eine reusenartige Situation“, aber bei Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen sei auch nach dem Bau des Solarparks eine dauerhafte Funktionsfähigkeit des Tunneldachs als Rotwildwanderkorridor gesichert. NABU-Mann Robinius, die RHG und die VJS hingegen betonen die besonders hohen Anforderungen des Rotwildes an weite Dimensionierungen von Querungshilfen. Ansonsten komme es zum Meidungsverhalten gerade ortsfremder Individuen.
Anders als der Bürgermeister sehen der Naturschützer und die Jäger in der Wildbrücke auch kein „Abfallprodukt“ des Tunnelbaus, das „nicht planungsrechtlich abgesichert“ sei. Denn das Institut für Tierökologie und Naturbildung kommt zu dem Schluss, die aus dem Bau einer PV-Anlage auf dem Tunneldach resultierende Verriegelung des Wanderkorridors stehe sogar „im Widerspruch zum Planfeststellungsbeschluss zum Bau der A8“. Als Grundlage für den Beschluss 1992 seien im Abschnitt Pellinger Berg Querungsmaßnahmen gefordert worden, um die durch den Autobahnbau entstehenden „Trennwirkungen für Wildtiere“ zu vermeiden. Im landespflegerischen Begleitplan sei deshalb „die deutlich teurere Tunnellösung“ gegenüber einem Taleinschnitt umgesetzt worden. „Die uneingeschränkte Wirksamkeit der Tunnellösung als Wildtierquerung für Rothirsche und weitere Großsäugetiere steht daher in direkter Bindung zum Planfeststellungsbeschluss“, dessen Rechtswirksamkeit durch eine Verbauung beschädigt werden könne, folgert das Institut.
Es verweist zudem darauf, dass die Eignung des Tunneldachs als Wildtierquerung später überprüft worden sei – mit dem Ergebnis der Vergabe des Prädikates einer vollwertigen Wildtierpassage. „Als funktionserhaltende Maßnahme einer möglichst hohen Durchlässigkeit wurde als Maßgabe festgeschrieben, im Zuführungsbereich der Tunneldecke Störungen zu unterbinden und zu vermeiden“, heißt es abschließend.
Doch die alten Planungsunterlagen sind im saarländischen Umweltministerium nicht auffindbar. Das ist vielleicht auch der Grund, warum der Solarpark Wehingen zwar bereits Thema im Landtag und im Fachausschuss war und es Termine vor Ort gegeben hat, jedoch das Umweltministerium mehrfach um Fristverlängerung für seine Stellungnahme zu dem geplanten Bauvorhaben gebeten hat. Bürgermeister Kiefer hofft, dass es bis März eine abschließende Antwort aus dem Ministerium gibt. Denn dann soll voraussichtlich der Gemeinderat noch einmal alle Aspekte des Projektes diskutieren und den finalen Beschluss fassen.