24.12.2024
|
|
14 Min

Raufußhuhnjagd in Lappland

Schnelle Hühner, saurer Teig

Am Polarkreis auf Raufußhühner zu jagen, war ein Angebot, das ich nicht abschlagen konnte. Gemeinsam mit Büchsenmacher Klaus Götsch, der vor 40 Jahren nach Finnland ausgewandert ist, ging es in Skandinavien auf die Jagd.Michael Woisetschläger

Schnelle Hühner, saurer Teig

Bild: Shutterstock

Alles begann mit einem Leserbrief: Auf die Antwort des Redakteurs folgte eine E-Mail des Lesers, bald wurde telefoniert, und aus Fachsimpeleien über dies und das wurde eine konkrete Einladung: „Komm doch zu mir nach Finnland, dann jagen wir zusammen Raufußhühner“, meinte Klaus Götsch, ein Deutscher aus Schleswig-Holstein, der seit 40 Jahren in Südfinnland bei Helsinki lebt.

2 Monate später ist es dann soweit. 2 500 km entfernt liegt der Flughafen von Rovaniemi. Dort holt mich Klaus mit seinem vollgepackten Kombi ab. Am Tag zuvor ist er die knapp 900 km aus Helsinki angereist, um mit mir in seinem Jagdgebiet, etwa 1 Autostunde nördlich des Polarkreises von Rovaniemi entfernt, einige Tage zu verbringen. Rovaniemi ist die Hauptstadt der nordfinnischen Landschaft Lappland und liegt in direkter Nähe des Polarkreises.


40376
Klaus Götsch ist ein deutscher Büchsenmacher, der seit über 40 Jahren in Finnland lebt und arbeitet. (Bild: Michael Woisetschläger)
Das sog. Tor zum Norden ist sowohl ein wichtiges Einkaufszentrum für die Siedlungen der Umgebung als auch ein touristisches Reiseziel. Denn im Weihnachtsmanndorf am Polarkreis besitzt eben jener sogar sein eigenes Postamt. Einladende Cottages und traumhafte Holzhütten versprechen den Reisenden in der Polarnacht einzigartige Erlebnisse. Doch wir sind in Sachen Raufuß­hühner unterwegs. Zur Jagdhütte fahren wir mit maximal ­60 km/h – die die ­Frage aufwerfen, wie Klaus die 900 km am Vortag hinter sich gebracht hat – durch die weite Landschaft, die geprägt ist von Wäldern und Mooren. Unter den Baumarten dominieren Kiefern und Fichten, nur etwa 10 % entfallen auf Laubbäume.

Die Jagdhütte liegt an einem kleinen Bachlauf, dessen Bett vor Jahren mit dem Bagger erweitert wurde, um eine kleine Bucht zu schaffen, die nun etwa 20 m von der Veranda entfernt ein malerisches Bild abgibt. Auf dem anderen Ufer färben sich Birken und karge Gehölze bunt. „Dort habe ich im Sommer einige Birkhähne gesehen“, weiß Klaus und erklärt die Vorgehensweise der kommenden Tage. Mit seiner Kleinen Münsterländer-Hündin „Wilma“ werden wir den Jagdbogen zu Fuß erkunden. Die Saison auf Raufußhühner hat gerade erst begonnen, und „Wilma“ ist voller Tatendrang. Wie ein Wirbelwind stürmt sie um die Hütte und die Nebengebäude, in denen sich neben einem kleinen Gästezimmer noch die in Finnland unverzichtbare Sauna befindet. Die Toilette ist ein paar Meter weiter in einem separaten Häuschen – willkommen in der Wildnis. Fließendes Wasser ist Fehlanzeige, der Herd der Küche wird mit Gas betrieben, und ein Holzofen sorgt schnell für behagliche Wärme in der kühler werdenden Nacht.

Um im hohen Norden Anfang September zu bestehen, habe ich warme Klamotten eingepackt und schwitze mich bereits bei der 1. Pirsch am kommenden Morgen fast zu Tode. In Gummistiefeln, die aufgrund des stellenweise weichen und morastigen Bodens unverzichtbar sind, pirschen wir durch die Taiga, gegen Mittag erreicht das Thermometer die 25-°C-Marke. „Es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit“, murmelt Klaus etwas unglücklich. „Das ist nicht ideal für die Hühnerjagd, denn Birk- und Auerwild mögen es eher kühler.“ So bleibt der Morgen auch weitgehend ohne Anblick. Nur einige Rentiere ­huschen Waldgeistern gleich 100 m entfernt durchs dichte Unterholz und sind gleich darauf verschwunden. Es sind halbwilde Rentiere, die von den einheimischen Samen den ganzen Sommer über in die Wälder gelassen werden. Erst im Spätherbst werden sie zusammengetrieben. Elchwild ist so weit im Norden eher selten, dafür sind Vielfraß und auch der Wolf hier zu Hause. „Es gibt nicht sehr viele Wölfe“, beruhigt Klaus und fügt schmunzelnd hinzu: „Die Samen mögen die nicht besonders, weil sie ihre Rentiere fressen.“

40377
Das Ufer der Halbinsel auf der anderen Seite des Waldsees war vielversprechend. Hier wollten wir nach Auerwild suchen. (Bild: Michael Woisetschläger)

Beim nächsten Pirschgang am späten Nachmittag schlagen wir einen großen Bogen in einer anderen Richtung als am Morgen rund um unser Jagdcamp. Über weiche Moospolster durch endlose Preiselbeer- und Cranberry­büsche gehen wir durch einen lichten Birken­bestand. „Wilma“ ist 70 Gänge vor uns bereits in etwas dichterem Bestand und steht vor. Wir beschleunigen das Tempo, aber schon prellt sie voran, und Flügelschlagen beweist uns, dass sie Wild vorhatte. Was auch immer es war, es ist weg. „Sie ist noch etwas zu eifrig am Anfang der Saison“, beruhigt Klaus, „das gibt sich.“ Einige Hundert Meter weiter steht sie erneut vor, ich ­nähere mich schnell, warte kurz, lausche. Alle Sinne gespannt, packt mich das Jagdfieber. Jetzt! Die Flinte ist im Anschlag, folgt den braunweißen dahinflitzenden Hühnern. Etwas enttäuscht lasse ich die Flinte sinken. Schneehühner. Eine tolle Beute, aber leider in diesem Jahr nicht zum Abschuss freigegeben. Die Finnen des Jagdbogens, in dem wir unterwegs sind, achten sehr genau auf die Besätze. Da in den vergangenen Jahren weniger Schneehühner als üblich zu finden waren, haben sich die Jäger verständigt, ihnen eine Schonzeit zu ­geben. „Wir sind hier in einer kargen und harten Region“, erläutert Klaus. ­Daher müsse man achtsam mit den natürlichen Ressourcen umgehen. Schön zu sehen, dass das so weit weg von der Zivilisation zu funktionieren scheint.

Den Abend beschließen wir nach ­einem schnellen Essen in der Sauna. ­Befeuert mit einem Holzofen, liefert sie wohlige Wärme und Warmwasser zum Duschen. Herrlich. Ein Sprung in das ausgebaggerte Bachbett und ich bin ein neuer Mensch. Die letzten Strahlen der Abendsonne beleuchten die bunten Wipfel der Bäume am anderen Ufer, und als ich mit freiem Oberkörper per ­Video-Call mit meiner Frau telefoniere, meint die nur erstaunt: „Ich dachte, du bist in Lappland und da ist es kalt?!“

40378
Am Rand einer Lichtung ließ sich dieser Rentierhirsch nicht stören – im Gegensatz zu seinen scheuen Artgenossen, die oft durchs Unterholz geisterten. (Bild: Michael Woisetschläger)

Nach einer kurzen Nacht geht es früh aus den Federn. Klaus will die Gunst der Morgenstunde nutzen. Unweit der Hütte haben wir einen Huderplatz gefunden. Dort hat er im Sommer auch mehrfach Haselwild gesehen und will es nun mit seinem Locker rufen. „Der Haselhahn ist sehr territorial und bewegt sich meist zu Fuß Richtung scheinbarem Konkurrenten“, erläutert er das Vorgehen. Wir setzen uns an einer Wegkreuzung in die Büsche, und sanft beginnt Klaus mit seinem Spissen. Helle lange Töne, gefolgt von mehreren kurzen, entlockt er seinem Instrument. Lange passiert nichts, dann höre ich hinter mir Antwort. Im dicht mit Beeren bewachsenen Unterholz ist nichts zu sehen. Dann erklingen die Laute an einer anderen Stelle. Der Hahn schlägt einen Bogen um uns. Gespannt warten wir, doch der schlaue Vogel kriegt uns irgendwie spitz, und das einzige, das wir noch ­hören, ist sein Flügelschlag.

Am Rand einer riesigen Moorwiese pirschen wir weiter, und langsam wird mir klar, dass dieser Jagdtrip ähnlich schwierig wird wie meine Reise mit meinem Kollegen Richard nach Norwegen vor einigen Jahren (s. WuH 4/2020, Seite 40). Auch dort pirschten wir, ­damals allerdings ohne Hund, durch die Landschaft, hatten eindrucksvolle Erlebnisse, kamen aber an vergleichsweise wenig Wild. Diese harte Landschaft ermöglicht keinen Wildreichtum. Das Leben des Wildes läuft im Geheimen ab. Es gibt unendlich viele Versteckmöglichkeiten und unerreichbare Moorflächen, in denen es vorm Jäger seine Ruhe hat. „Das ist richtige Jagd“, denke ich mit Gedanken an unsere heimische Kulturlandschaft.

40380
Jetzt gilt es! Instinktiv hebt der Autor die Flinte, doch die Birkhähne, die außer Sicht abstreichen, sind zu weit entfernt. (Bild: Michael Woisetschläger)

Dann kommen auf dem Wipfel einer einsamen Fichte am Rand einer Lichtung 2 Birkhähne in Anblick, etwa 80 m entfernt. Perfekt. So leise wie möglich nähere ich mich. Klaus geht 50 m links von mir einen Pfad entlang, er hat die Hähne noch nicht gesehen. Nur noch ein paar Meter. Ich kämpfe mich über Totholz, um die Lücke bis zur Schuss­distanz zu schließen, da sehe ich im Augenwinkel „Wilma“, die Wind bekommen hat. „Nicht weiter!“, denke ich, aber die Telepathie zum KlM funktioniert nicht. Ich bin noch ­45 m entfernt, als die beiden Hähne fast lautlos über die Lichtung abstreichen. Verdammt! Es ist doch schwieriger, als anfangs vermutet, mit der Flinte nah genug heranzukommen, um auch nur eine Schussmöglichkeit zu haben. „Ja, du hast max. 2 bis 3 Sekunden Zeit, wenn es soweit ist“, lacht Klaus. „Und dann musst du hoffen, einigermaßen freies Schussfeld zu haben, das ist Lappland!“

Wir fahren mit dem Auto zu einem in der Nähe gelegenen See, steigen dort in ein kleines Boot. Auf der anderen Seite liegt eine Halbinsel, die so gut wie nie bejagt wird, da sie von einem Moor umgeben und nur von der Seeseite erreichbar ist. Dort finden wir auch schnell eine Huderstelle mit einer großen schwarzen Stoßfeder darin. Auerwild! Über Wild­pfade bewegen wir uns vorsichtig weiter, dann macht Klaus 2 Rentiere hoch, die sich in den Beerensträuchern niedergetan hatten. In wilder Flucht entfernen sie sich von ihm, während eines mich beinahe über den Haufen rennt. „Vom Rentier auf Dienstreise überrannt, das wäre ein schöner Fall für die Berufsgenossenschaft“, lachen wir. Bei der Anlegestelle unseres Bootes stehen die ­Bäume besonders dicht, der Himmel ist kaum zu sehen. In Gedanken schon wieder bei der Überfahrt zum Auto, nähern wir uns dem Ufer, als es plözlich mächtig rauscht. Flinte hoch: Ein pfeilschneller, riesiger schwarzer Schatten reitet über unsere Köpfe ab, vom immergrünen Gewand der Fichten gedeckt, ­verschwindet er ins Landesinnere. Wir ­haben den Hahn wohl einmal im Kreis bewegt. Glänzend.

40384
Am Ende des Tages besteht unsere Beute nur aus frischen Pilzen. (Bild: Michael Woisetschläger)

Die Vesper in der Jagdhütte entschädigt für die Enttäuschung. Frisch gebackenes Sauerteigbrot und Steinpilze, die wir unterwegs gesammelt haben, füllen den Magen, und Klaus erzählt wieder eine seiner Geschichten: „Der Sauerteig für das Brot ist über 40 Jahre alt und kommt aus Deutschland.“ Seit er ihn nach Finnland gebracht hat, backt er damit sein Brot aus Roggenvollkornmehl. Leckerer geht es kaum. Zuversichtlich schmieden wir Pläne für den nächsten Tag, der schon unser letzter Jagdtag sein wird. Wir wollen es noch mal auf einen Auerhahn versuchen. Einen halben Kilometer von der Jagdhütte entfernt hat Klaus einen kleinen Wildacker angelegt, der den Raufußhühnern Äsung bietet. Während Klaus etwas zurückbleibt, nähere ich mich langsam dem wegen der Rentiere eingezäunten Areal und sehe von Weitem schon 2 Auerhahnen vor mir. In ­gebückter Haltung gehts rechts am Zaun entlang. Ein Hahn zieht über den Wildacker und drückt sich auf der anderen Seite in die Preiselbeeren. 25 m, das passt. Über den Lauf sehe ich schemenhaft den Körper des Hahnes. Meine Gedanken überschlagen sich. Den sitzenden Hahn schießen oder nicht? Ich weiß, dass die Finnen damit kein Problem haben, aber irgendwie scheint mir das dem edlen Wild unangemessen. Sich zwischen den Sträuchern in Deckung haltend, drückt sich der Hahn weiter von mir weg. „Glück gehabt, mein Freund“, denke ich und pirsche den Zaun weiter in Richtung des 2. Auer­hahns, der sich den Wildacker entlang nach hinten verzogen hat. Und tatsächlich, er streicht auf 35 m steil nach oben ab, von mir weg durch ein gerade mal 3 m breites Schussfenster zwischen den Bäumen. Als der Schuss bricht, weiß ich schon, dass ich gefehlt habe. Es soll mein einziger Schuss auf dieser Reise bleiben.

Noch im Flugzeug grüble ich, ob ich mich über den sicheren Schuss auf den 1. Hahn, den ich pardoniert habe, ärgern soll. Aber dann denke ich an die Beute im Koffer. Nach über 40 Jahren kehrt ein Ableger des Sauerteiges mit mir zurück in die Heimat. Und jedes Mal, wenn ich ein wohlduftendes, frisch aus dem Ofen kommendes Brot in der Hand halte, denke ich ­lächelnd an die spannenden Jagdtage und sehne mich zurück in die Weite Lapplands.
 


40385
Sauerteigbrot (Bild: Michael Woisetschläger)
Roggenvollkornbrot à la Klaus

1 kg Roggenvollkornmehl
ca. 700 ml Wasser
1 TL Salz
1 Prise Zucker
1 Prise Brotgewürz
1 EL Sauerteigansatz
Die Zutaten vermengen und vom fertigen Teig etwa 1 bis 2 EL zum im Kühlschrank aufbewahrten Sauerteig geben. Über Nacht an einem warmen Platz zugedeckt stehen lassen. In eine mit Back­papier ausgelegte Kastenform geben und bei 220 °C Ober-/­Unterhitze 1 Std. backen. Aus der Form nehmen und bei 200 °C eine gute halbe Stunde backen. Fertig.

Den kompletten Film zum Beitrag sehen Sie als Abonnent unter pareygo.de.

Autor: Michael Woisetschläger