4 auf einen Streich
Hikmicros Falkenquadriga
1 Gehäuse, 2 verschiedene Sensoren, 4 Objektive und 4 Preise kennzeichnen die „Falcon“-Serie. Doch welcher Falke bringt das meiste für sein Geld? Das sollte ein Praxistest herausfinden.Wolfram Osgyan
Bild: Wolfram Osgyan, Willi Rolfes
Bekanntlich boomt der bei uns junge Wärmebildkameramarkt. Ständig bekommen wir neue, verbesserte Geräte präsentiert, die oder deren Technologien überwiegend aus China stammen. Anfangs konnte man die Herkunft nur dem Kleingedrucken entnehmen, doch nunmehr trumpfen die Hersteller selbstbewusst mit ihrem Namen auf. Die Marke InfiRay beispielsweise ist inzwischen geläufig. HIKMICRO hingegen schickt sich an, das zu werden. Dabei zählt der Mutterkonzern HIKVISION mit über 40 000 Mitarbeitern zu den Giganten in der Halbleiter- und Hightech-Kamerafertigung, und die junge Tochter HIKMICRO mit einem derzeit jährlichen Geräteausstoß von 1,5 Mio. Einheiten hat umsatztechnisch bereits den Branchenprimus erreicht und wechselt auf die Überholspur. Zum Aufgang der Bockjagd trifft das Quartett bei mir ein. Jeder Karton enthält eine sehr stabile Gerätebox mit Kamera sowie einer Handschlaufe. Dazu gesellen sich Neoprenbeutel, Verbindungskabel und 2 Akkus mit 3 200 mAh im zugehörigen, aufklappbaren, transparenten Schutzbehälter. Trageriemen für die Box und das Gerät wollen ebenso wie ein Ladegerät aus den Seitenverkleidungen gefischt werden. Da bleibt nur der Wunsch nach einer ausführlicheren Bedienunganleitung anstelle der mehrsprachig abgefassten Broschüre. Das Einlegen des Akkus ist kein Hexenwerk: Verriegelung des rechts liegenden Akkugehäuses entsperren, Akku auf das Führungsband legen, eindrücken und Deckel schließen. Der wird vom Band unverlierbar gehalten, und das Band wiederum erleichtert das Herausnehmen der Energiequelle. Diese Lösung gefällt.
Wird die Einschalttaste gedrückt gehalten, taucht das Logo im Display auf. Sollte es nicht gänzlich scharf erscheinen, korrigiert man mittels Dioptrieausgleich, der als griffiger Rändelring vor dem Okular sitzt. Wenig später folgen das Bild und mit Verzögerung an seinem oberen Rand Uhrzeit, Vergrößerung sowie Ladezustand. Nachdem die Geräte revierfertig gemacht wurden, wandern sie in den Rucksack. Bepackt wie ein Schmalspur-Sherpa erklimme ich die Leiter einer hohen Kanzel mit maximalem Fernblick nach 3 Seiten. Von Neugier getrieben, greife ich zuerst ohne überzogene Erwartungshaltung zum preiswerten Einsteiger mit dem 25er-Objektiv, versuche, den Schutzdeckel zu öffnen, und schon landet er geräuschvoll auf dem Kanzelboden. Zum Glück, denn bei einer offenen Leiter hätte das eine Suchaktion mit ungewissem Ausgang initiiert. Das passierte bei diesem Modell übrigens fortwährend, sodass ich jegliches Vertrauen in Konstruktion und Befestigung der Flip-Cover verlor. Hier sollte schnellstens nachgebessert werden, was der Hersteller übrigens inzwischen zugesichert hat. Der Blick durch die WBK in die Ferne haut mich dagegen schier vom Hocker und hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Der kleine Falke bildet nämlich unerwartet scharf und kontrastreich ab, sodass man glaubt, ein gutes Schwarz-Weiß-Foto zu betrachten. Nicht nur das eigentliche Objekt, in dem Fall ein 200 m entferntes Reh, leuchtet konturiert und weiß im Bild. Man sieht auch die einzelnen Halme der Gräser sowie des Getreides, alle Bodenunebenheiten und die Äste der 500 m entfernten Alleebäume sauber abgegrenzt. Leider kann hier meine zum Vergleich eingesetzte 2 Jahre alte Wärmebildkamera trotz 35er-Objektiv, 384er-VOx-Sensor und einem Display von 1 280 x 960 px bei Weitem nicht mithalten. Dabei wusste sie, zum Zeitpunkt des Erwerbs voll zu überzeugen. Sie zeigt das Objekt zur Zufriedenheit, doch die umgebenden Strukturen lösen sich mehr oder minder in hell und dunkel auf.
Macht eine Sensorsensivität von unter 20 mK (Millikelvin) bei den „Falcons“ in Kombination mit der von HIKMICRO entwickelten speziellen Software „Image pro“ zur digitalen Bildoptimierung bereits den Unterschied? Mit ihrer 2-fachen Vergrößerung erschließt die „FH 25“ ein Sehfeld von 18,4 m/100 m und gewährleistet damit einen guten Überblick. Die Rehe in meinem Rücken kann ich bis zu einer Entfernung von 700 m als solche identifizieren, nicht jedoch das Gehörn eines Bockes erkennen, der 60 m entfernt äst. Da hilft auch Zoomen nicht weiter, denn jede Vergrößerung verpixelt das Bild und verwischt neben der Kontur auch weitere Details. Dass in der Einschalttaste eine kleine LED rot leuchtet, wenn sich das Gerät im Standby-Modus befindet, erleichtert in der Dunkelheit das Finden derselben wesentlich. Auf Abhieb nächtens den richtigen Knopf zu drücken, gelang nämlich nicht immer. Wie das ausgerechnet mit Handschuhen gehen soll, kann ich mir deshalb nur schwer vorstellen. Zwischendrin ließ ich mich dazu hinreißen, über die Menütaste die zahlreichen Optionen aufzurufen. Beim Kriterium „Entfernungsmessen“ befand ich mich von einem Moment zum anderen im Irrgarten und war froh, im Dunkeln auf einen anderen Falken ausweichen zu können.
Langer Rede kurzer Sinn: Es gibt eine Reihe von Einstellungen, die Sinn machen. Eine Entfernungsmessung mittels Referenzgrößen von Keiler, Bär und Hirsch zählt für mich nicht dazu. Doch es ist möglich, eine definierte Messstrecke dauerhaft ins Display zu holen, ohne Sehkomfort einzubüßen.
Als ich Tage später in einer Phase längeren Beobachtens von einer Leiter aus im Display zum Akkuwechsel aufgefordert wurde, gelang das in der Dunkelheit anstandslos. Was die Akkuleistung angeht, sollte man nicht blind auf die sehr positive Einschätzung von maximal 7 Stunden vertrauen. Abhängig von der Außentemperatur kommt nämlich gerade mal die Hälfte der Wirklichkeit näher. Die 3-fache optische Vergrößerung der „FH 35“ in Verbindung mit ihrer Brennweite von 35 mm zieht das Objekt im Display näher heran, verkleinert aber das Sehfeld auf 13,2 m auf 100 m. Laut Hersteller vergrößert sich die Detektionsreichweite gegenüber der „FH 25“ um ein Drittel auf 1 800 m. Das prädestiniert dieses Modell für den wechselnden Einsatz zwischen Wald und Feld. Eine Einschätzung, die ich aber nach gemachten Erfahrungen nicht vorbehaltlos teile. Das noch feiner strukturierte, um einen Tick schärfere Bild der „FQ 35“ resultiert aus dem hier verbauten, leistungsstarken 640-x-512-VOx-Sensor. Die Kombination aus 1,8-facher Vergrößerung und dem 35er-Objektiv ermöglicht den Panoramablick mit einem Sehfeld von 22 m/100 m, bei einer Detektionsdistanz von 1 800 m. Das 50er-Objektiv des vom Innenleben nahezu baugleichen „Falcon FQ 50“ liefert bei 2,6-facher Vergrößerung ein kristallklares, unglaublich feines Bild, das noch bei 2-fachem Zoom ansehnlich bleibt. 15 m/100 m beträgt das Sehfeld und die Detektionsreichweite stolze 2 600 m. Wie alle „Falcons“ verfügt es über Foto- und Video-Funktion sowie ein eingebautes Mikrofon, kommuniziert via App mit Handy oder Rechner und lässt sich mit Updates auf den neuesten Stand bringen. Wie bei der Schwester „FQ 35“ auch, fressen die Aufnahmen und die Bluetooth-Verbindung jedoch mehr Energie, was zu einer um 2 Std. verkürzten Akkulaufzeit (5 Std. statt Werksangabe 7 Std.) führt.
Ihre herausragende Leistung hat natürlich ihren Preis. Für das „Falcon“-Flaggschiff werden ca. 3 000 € im Handel aufgerufen. Das „FQ 35“ gibt es ab 2 550 €, die kleine Schwester „FH 35“ ab 1 899 € und das „LH 25“ schon ab 1 599 € (siehe auch: pareyshop.de). Entdecken und Erkennen von Wild kann man bereits sehr gut mit dem preiswertesten, und zwar auf beträchtliche Entfernung. Mit Glück lässt sich damit sogar ein Gehörn auf Schrotschussdistanz identifizieren. Hinsichtlich Preis und Leistung wäre er mein Favorit. Seine potenteren Schwestern indes schieben die Ansprechentfernung hinaus, wenn auch in recht bescheidenem Maße. Neben den Kosten spielt ebenso eine Rolle, was einem wichtiger ist: die Grundvergrößerung oder das Sehfeld. Bei der Betrachtung kann ich mir jedoch einen Seitenhieb nicht ganz verkneifen. Scheibchenweise nur geben Chinas Hersteller von ihrem enormen wärmebildtechnischen Potenzial ab. Das führt zu sehr kurzen Umtrieben der bei uns angebotenen Neuware und starken Wertverlusten der gebrauchten. Und es geht nicht um Trinkgelder, sondern um Tausender. Für mich wäre das Ende der Fahnenstange erreicht, wenn man mit einer WBK wie mit einem Fernglas ansprechen und zugleich die Entfernung messen könnte. Doch davon sind auch die wirklich überzeugenden „Falcons“ von HIKMICRO noch ein gutes Stück entfernt.
Autor: Wolfram Osgyan