09.10.2023
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11 Min

Gamsjagd

Heim ins Allgäu

Das Allgäu ist für viele Menschen eine Sehnsuchtsregion. Für eine Jungjägerin aus Rheinland-Pfalz ist es 2. Heimat. Mit einer Einladung auf Gams bricht sie zu einer Reise auf, die sie zu ihren Wurzeln zurückführt. Heiko Hornung

Heim ins Allgäu

Bild: Heiko Hornung

Das Kärtchen stand unscheinbar unter den Geburtstagsgeschenken und hatte es doch in sich. Als Katharina, jetzt 24 Jahre jung, es öffnete, dachte sie vielleicht an einen Geburtstagsgruß, einen Einkaufsgutschein oder ein paar Euro, die man immer gut gebrauchen kann. Doch es war für die frischgebackene Jungjägerin so viel mehr. Es war eine Einladung auf eine Gams im Allgäu.
Zwar lebt sie in Rheinland-Pfalz, aber ihre Mama, eine waschechte Allgäuerin, und ich, ihr Vater, haben ihr die Liebe zu den Bergen mit in die Wiege gelegt. Sie verbrachte Wochen auf dem Hof ihrer Großeltern am Fuß des Auerberges, wurde anfangs in die Berge getragen, wanderte später selbst, fuhr Ski und Snowboard. Dabei blieb es natürlich nicht aus, dass die Gespräche in der Familie sich immer wieder um die Jagd und das Bergwild drehten. „Jetzt selbst auf Gams zu gehen, kann ich mir noch gar nicht vorstellen“, sagte sie, kramte Ausrüstung zusammen, stellte gefühlt 1 000 Fragen, die ihre Aufregung verrieten. Nur eine Woche musste sie vom Geburtstag bis zur Fahrt gen Süden fiebern.
 
Zufällig hat Katharina ebenso wie der bayerische Märchenkönig Ludwig II. an einem 25. August Geburtstag. Der war zwar kein Jäger. Er soll sich sogar zu den Antidianisten, die Bezeichnung für Jagdgegner im 19. Jh. gezählt haben. Dafür liebte er das Allgäu umso mehr und errichtete dort mit Neuschwanstein eines der populärsten Schlösser für Deutschlandtouristen, von dem der Freistaat noch heute gut lebt. Er suchte in den Bergen die Einsamkeit und schrieb einst weitsichtig: „Ich halte dafür, dass das Glück der Völker nicht in der Menge ihrer Eisenbahnen liegt. Man soll mir die idyllische Einsamkeit und die romantische Natur, deren malerische Schönheit im Winter noch ungleich größer ist als im Sommer, nicht durch Eisenbahnen und Fabriken stören. Auch für zahllose andere Menschen, als ich einer bin, wird eine Zeit kommen, in der sie sich nach einem anderen Lande sehnen und zu einem Fleck Erde flüchten, wo die moderne Kultur, Technik, Habgier und Hetze noch eine friedliche Stätte weit vom Lärm, Gewühl, Rauch und Staub der Städte übrig gelassen hat.“ Und gefühlt ist das Allgäu heute für viele Menschen Sehnsuchtsort und im Deutschlandtourismus eine der beliebtesten Regionen überhaupt. Für Katharina noch ein bisschen mehr, nämlich Heimat.
 
Ausgangspunkt der Jagd sollen die Schrofen Chalets in Jungholz sein, einer kleinen Österreichischen Enklave im Allgäu im Eingang zum Tannheimer Tal. 2 findige Unternehmer aus dem niederrheinischen Nettetal haben sich schon vor Jahren in die Allgäuer Alpen verliebt und in 4 sehr komfortable Chalets, jedes mit eigenem Wellness-Wohlfühlbereich, investiert. Weil zum Wohlfühlen auch Jagen gehört, bieten sie diese im Paket mit an. Ein Angebot, das für eine junge Frau, die im Frühjahr ihren Jagdschein neben einem stressigen Job absolvierte, als Geschenk gut taugte.

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Ausgangspunkt für die Gamsjagd in den Allgäuer Bergen sind die Schrofen Chalets in Jungholz, die aus Altholz im vergangenen Jahr gebaut wurden. (Bild: Heiko Hornung)
Für Katharina geht es von dort ins nahe gelegene Revier Bad Hindelang. König Ludwigs Nachfolger, der lange unpopuläre Prinzregent Luitpold, jagte dort in seinem Leibgehege. Heute ist das ehemalige Wittelsbacher Revier in Privatbesitz. Die Hindelanger bewirtschaften ihre 5 000 ha große Jagd selbst. 19 Einheimische haben Jagdmöglichkeiten auf Rot-, Reh- und Gamswild. Der Jagdvorsteher Hermann Karg ist gleichzeitig Jagdleiter und trägt die Gesamtverantwortung.
 
Er hat auch ein klares Ziel: „Unsere Grundbesitzer wollen, dass der Wald wächst“, das geht ihrer Meinung nach am besten mit ortsansässigen Jägern, selbst wenn damit auf Pachteinnahmen verzichtet wird. Doch der Jagdvorsteher ist mit dem Erlös, der durch Abschuss entgelte und den Wildbretverkauf erzielt wird, zufrieden. Auch die Begeher müssen für reife Rothirsche und Gamswild zahlen. Kahl- und Rehwild sind grundsätzlich nach Maßgabe des Abschussplanes kostenfrei. Karg, der als Forstwirt, oder „Holzer“ wie man im Allgäu sagt, im Forstamt Sonthofen beschäftigt ist, führt die junge Gamsjägerin selbst. Die Nachfrage nach Gams ist hoch. Neue Gäste brauche er nicht, sagt er. Für die Schrofen-Chalets-Jungs, die beide zur Jagd gehen, macht er eine Ausnahme. Man hilft sich im Allgäu.
 
Als der Tag Ende August aufsteigt, treffen sich der Pirschführer und Katharina am Fuß der Hirschalpe zum Aufstieg. Ich darf die beiden begleiten, und mir geht allerhand durch den Kopf, als wir morgens die Bergstiefel schnüren und unsere Ausrüstung zusammenpacken.
Gefühlt ist es noch nicht so lange her, als mich auf den Abendansitz ein kleines blondschopfiges Mädchen begleitete. Ein Jägerhütchen trug sie, hatte ein Mini-Fernglas um und schlich andächtig hinter mir zum Hochsitz. Heute schleiche ich hinter einer jungen Frau her, und es macht mich stolz, dass mit ihr die 5. Jägergeneration in meiner Familie heranwächst. Es ist das einzige, was von einem bleiben wird, wenn alle anderen Ruhmestaten und die Erinnerung an die Geschichten zu den Trophäen zu Hause schon längst vergessen sind. So betrachte ich sie versonnen, als sie den Rucksack aufnimmt, mich anlächelt und sagt: „Geh`ma?“
 
Als wir im ersten Licht die jahrhundertealte Alpe erreichen, ist davor schon Leben. Der Hund ist heraußen, und auch der Älpler, Johannes Sutter, steht bereits vor der Tür. „Ah, de Jager“, sagt er, als die Corona auf ihn zuschreitet. Nahe der Alpe auf dem kleinen Buckel des Kreuzbichel hebt sich vor dem dunkelvioletten Morgenhimmel bereits die Silhouette einer Gams ab. Was für ein Willkommen!

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Im ersten Licht erreichendie Jäger die Schneidzwischen Hirschberg undJochschrofen. (Bild: Heiko Hornung)
Der Jäger will bereits im ersten Licht am Hirschberg sein, weil er weiß, dass es nicht lange dauert, bis die ersten Bergwanderer oder Gleitschirmpiloten auftauchen, die gern vom Gipfel in der ersten Thermik starten. Eine furchtbare Belastung nicht nur für das Bad Hindelanger Revier, sondern für den gesamten ­Alpenraum. Karg berichtet, dass zu Spitzenzeiten während der Corona-Pandemie am Tag bis zu 130 Gleitschirmflieger in der Luft waren. Eine Situation, in der sogar die nervenstärkste Gams durch den Schattenwurf der großen Schirme in tiefere Lagen in den Wald flüchtete und dort Schutz suchte. Dazu kommen inzwischen deutlich mehr Wanderer, Mountain- sowie E-Biker und im Winter eine Unmenge an Tourengehern: „Wir müssen versuchen, dieses immense Freizeitaufkommen zu kanalisieren“, sagt der Jagdleiter. Weiß er doch auch, dass v. a. das Allgäu als Freitzeitraum für das Wild und damit schlussendlich für den Wald eine zunehmende Belastung ist. Knapp 36 % stieg der Wintertourismus allein im vergangenen Jahr.
 
Unterm Kreuzbichel steht eine ganze Schar. „Wenn gar nichts geht, kommen wir wieder zurück“, sagt der Allgäuer und nimmt mit der Halb-Allgäuerin den Steinernen Pfad zum Gipfel unter die Sohlen. Obwohl er kommod steigt, schnauft die 24-Jährige bald in der lauen Morgenluft. Der breite Steig führt zu einer Schneid, auf der sich der Weg zum Großen Hirschberg und hinüber Richtung Jochschrofen gabelt. Im Osten zeigt sich bereits das Morgenrot.
 
Unterhalb des Hirschbergs tummeln sich auf einer freien Almfläche in verschiedenen Trupps fast 20 Stück Scharwild. Das Vieh ist seit vergangener Woche umgestellt. Im September wird es abgetrieben. Geißen mit Kitzen, Jahrlinge und einige junge Stücke sind es, die dort äsen. Auch im Hang zum Jochschrofen hinauf stehen Gams.
 
Karg verrät, dass er nach einem jungen geißkruckigen Bock Ausschau hält, den er hier bestätigt hat. Grad will der Jägertrupp vorsichtig dem Wanderpfad folgen, da prallt der Pirschführer zurück. Vorsichtig lugt Katharina ihm mit dem Glas über die Schulter. Noch durch einige tiefhängende Zweige einer Fichte leicht verdeckt äst ein Bock. Stark im Wildbret ist er nicht. Noch ist es früh am Morgen, aber wer Dianas Angebote nicht annimmt, wird von der Verschmähten oft bitter bestraft. „20 Kilo. Mehr hat er nit“, flüstert er über die Schulter, und deutet, dass sich seine Begleiterin zum Schuss richten soll.
 
Vorsichtig schiebt sich die Jungjägerin mit ihrer neuen Büchse zum Jagdführer, der die Rucksäcke bereits über­einanderlegt. „Fahrst am Lauf auf und schiaßt‘n aufs Blatt. Der muss liegn“, flüstert er der 24-Jährigen zu, die sich hinter der .308 Win. einrichtet.
 
Der Bock hat etwas bemerkt, sichert auf die 120 m herüber. Keiner rührt sich. Als er wieder äst, lässt sich die Jägerin Zeit. Nachdem sie hörbar ausatmet, peitscht der Schuss hinaus und rollt im Echo durch das Tal. Im Knall kugelt der Bock den Hang bis zum Wanderweg hinunter. Ein anerkennendes Schulterklopfen lässt die Jägerin entspannen, die etwas blass um die Nase aus ihren blauen Augen herausblinzelt.

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Ein 4-jähriger Gamsbock mit nur etwas über 20 kg Wildbretgewicht liegt zur Strecke. (Bild: Heiko Hornung)
Den Latschenbruch nimmt sie strahlend entgegen. Erstaunlich wortkarg sitzt das kleine Plappermaul wenig später an ihrem ersten Stück Bergwild. „Ich kann es gar nicht fassen“, sagt sie. Erst als wir mit der Gams im Rucksack wieder Richtung Hirschalpe absteigen, will das Lächeln nicht mehr aus ihrem Gesicht weichen.
 
Auf der Alpe wird mit einer Pfanne Eier mit Kartoffeln, Bauernbrot, frischer Butter und Kaffee erst einmal kräftig gefrühstückt. Dabei blicken wir über das Kleinwalsertal hinweg zum Allgäuer Hauptkamm mit Isslerkamp, Wannenjoch und Nebelhorn. Und bei einem Enzian, der der Jungjägerin die Tränen in die Augen treibt, und dem Waidmannsheil ihrer Gefährten stehen Glück und Stolz in ihren Augen. Sie selbst sagt am Abend bei einem herrlichen Wildmenü im Schrofen Chalet: „Heute bin ich heimgekommen.“

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Katharina, Pirschführer Hermann Karg(M.) und Älpler Johannes Sutterlassen sich nach der Jagd einzünftiges Hüttenfrühstück schmecken. (Bild: Heiko Hornung)
Einen Filmbeitrag zum Thema sehen Sie unter: pareygo.de/wuh
 
Schrofen Chalets Jungholz 147, Habsbichl, A-6691 Jungholz/Tirol
schrofen-chalets.at

Autor: Heiko Hornung