06.10.2023
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10 Min

Wald-Wild-Diskurs

Förster auf Heldenreise

Während im Wald-Wild-Diskurs die Argumente für den klimastabilen Mischwald in der Öffentlichkeit scheinbar ziehen, wirken die mahnenden Jäger, die für das Wild ein Lanze brechen, oft eher schwach. Woran liegt das? Dr. Christine Miller hat sich die Diskussionen angesehen und zeigt, dass sie einem sorgfältig inszenierten Drehbuch folgen.

Förster auf Heldenreise

Bild: Reiner Bernhardt

Den Jägerinnen und Jägern weht rauer Wind ins Gesicht. In 2 Bundesländern wird gewählt, und Parteien von schwarz bis grün bringen sich gegen die Feinde des Klimawandelwaldes, gegen Wildtiere, in Stellung. Andere Bundesländer in ähnlicher farblicher Kombination versuchen, die Jagdgesetze entsprechend an forstwirtschaftliche Bedürfnisse und Begehrlichkeiten anzupassen. In den Medien werden derartige Entwicklungen begrüßt oder gefordert, während Jäger als Verhinderer der Zukunft am Pranger stehen. Wer würde da nicht enttäuscht und erschöpft allen Widerstand aufgeben. Und was immer Jagdverbände und Jäger an gut gemeinter Öffentlichkeitsarbeit tun, sie scheinen nicht durchzudringen. Ihnen haftet der Ruch des Eigennutzes, der Schießfreude und des ewig gestrigen Vereinsmeiertums an. Ist das Schicksal? Ob ein Förster eines Landesforstbetriebs, ob Vertreter von Gemeindewaldungen, ob Beamter in einem einschlägigen Ministerium, Lobbyist einer forstlichen Vereinigung oder ein Vertreter der großen Naturschutzverbände – sie alle tragen eine verblüffend gleichlautende Geschichte an die Öffentlichkeit: Die Förster helfen dem Grundbesitzer, den Wald der Zukunft für uns alle und unsere Nachkommen zu retten und zu sichern. Die Schlagworte dieser Geschichte fehlen in keinem Presseartikel, in keinem Interview: Da kann der „klimafitte“, wahlweise der „Enkel-fitte“ Waldumbau nur gelingen, wenn „überhöhte Schalenwildbestände“ durch konsequente Jagd reduziert werden. „Verbiss“ verhindert den notwendigen „Waldumbau“ oder die „Wiederbewaldung“ und damit die Umkehr der Klimakatastrophe. Jedes Reh, geschweige denn jeder Hirsch, Muffel oder Gams führt uns weiter an den Katastrophenkipppunkt. Derartige Parolen mögen in den Ohren von Fachkundigen und Jägern absurd klingen. In einem unisono vortragenden Chor überzeugt er doch Bürger, Journalisten und Politiker.

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Das Wild im Wald ist in derKlimawald-Diskussion lediglichein Störfaktor. (Bild: Marco Schuette)
 

Propaganda-Leitfaden

 

Eine so glatte und eingängige Darstellung der forstlichen Weltsicht fällt nicht vom Himmel. Sie ist das Produkt harter Arbeit, zum Beispiel am Lehrstuhl für Forstpolitik der Technischen Universität in Weihenstephan. Und weil mehr Köpfe mehr nachdenken können als nur einer, hatte die bayerische Forstverwaltung einen Beamten dorthin einige Jahre abgestellt, um das Projekt „Analyse waldrelevanter Diskurse und daraus abgeleitete Kommunikationsempfehlungen“ zu bearbeiten. Sprich: Es wurde ein PR-Leitfaden erarbeitet, der nicht nur an die Forstbediensteten und -beamten ging, in Büchern und Artikeln veröffentlicht, sondern inzwischen über die Grenzen Deutschlands hinaus freudig von Forstlobbyisten aufgegriffen wurde. Der Anspruch des Projektes war: „Es wird geprüft, welche in der öffentlichen Meinung anschlussfähigen Darstellungsweisen in der Diskussion um den Wald eingesetzt werden können, um das Thema Wald und nachhaltige Waldbewirtschaftung zu stärken.“ Kurz gesagt: Wie verkaufe ich meine Ideen am besten. Oder wie es im Klappentext des später veröffentlichten Buches „Wortwechsel im Blätterwald“ heißt: „Es ist egal, ob Sie recht haben und inhaltlich die Wahrheit sagen. Sie müssen Sachverhalte so darstellen, dass sie von denen geglaubt werden, die sie noch nicht kennen.“ Die Autoren, der Professor für Forstpolitik Suda und der Forstbeamte Dobler aus Bayern, bieten ihren Lesern detaillierte Rezepte. Zum Beispiel dafür, wie man Umfragen gestaltet, damit die richtigen Ergebnisse dabei rumkommen („Umfragen als Mittel politischer Einflussnahme“). In einem Kapitel erklären die Autoren anschaulich: „So bekommen Sie die Ergebnisse, die Sie sich wünschen.“

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Der mystische Wald ist ein Seelenortder Deutschen. Seine Rettung imZeichen des Klimawandelsrechtfertigt nahezu jedes Mittel. (Bild: Jan Wagner)

Oder wie man Politiker dazu bringt, die eigenen Ideen umzusetzen, am Beispiel der Königsdisziplin Kampagne. Denn schließlich sei die öffentliche Meinung ein „Politikhebel“. Konkret beschreiben das die Autoren so: „Durch eine Kampagne soll öffentlicher Meinungsdruck aufgebaut werden, der Politiker dazu bewegt, eine bestimmte Handlung durchzuführen – in diesem Fall, ihre schützende Hand über den Wald zu halten.“ Sogar Blaupausen für Koalitionsverhandlungen finden sich in der Lektüre: „In Deutschland lässt sich zurzeit die Einrichtung eines Wald-Nationalparks … umsetzen, ohne große Proteste befürchten zu müssen. Das Vorhaben mag in der betroffenen Region zwar für Aufregung sorgen, aber im Umkreis verliert sich das.“ So empfehlen Suda und Dobler, dass sich eine Partei, die vorgibt, sich für Naturschutz einzusetzen, die Errichtung eines Nationalparks fordern sollte. „Für Parteien, die eine andere Schwerpunktsetzung repräsentieren …, wäre es in Koalitionsverhandlungen z.B. einfach, dies einem Naturschutz-orientierten Partner zuzuge- stehen.“
 
 

Heldenreise

 
Für einen dauerhaften Erfolg in der öffentlichen Wahrnehmung und letztendlich bei politischen Entscheidungsträgern sind gute Erzählungen oder neudeutsch „Narrative“ vonnöten. Diese Erzählungen haben in erster Linie den Zweck, die jeweils Handelnden in ein positives Licht zu stellen – sie zu Helden zu machen. Das Mittel dazu ist eine Geschichte, die wie eine sogenannte „Heldenreise“ aufgebaut ist. Dieses Stilmittel wird heute nicht nur bei Drehbüchern für Filme, sondern auch bei Werbekampagnen eingesetzt. Die Geschichte der Hauptfigur einer „Heldenreise“ spielt in 3 Akten: Der Held bricht noch zögernd aus seiner gewohnten Welt auf, nachdem er einen Unterstützer und einen „Mentor“ gefunden hat. Im 2. Akt begibt er sich auf eine beschwerliche Reise, bei der er Abenteuer besteht, aber auch Niederlagen erleidet. Und im 3. Akt überwindet er seinen Hauptgegner und kehrt gefeiert sowie reich belohnt in seine Heimat zurück, die nun sicherer und glücklicher leben kann. Hat man das Prinzip erst einmal verstanden, wird klar, dass viele Auftritte, Veröffentlichungen, Veranstaltungen und Interviews mit Forstleuten und Forstlobbyisten nach dem Muster einer Heldenreise gestrickt sind.
 
Damit die Geschichte funktioniert, braucht es auch die passenden Mitspieler. Wer der Held ist, steht ja schon fest: der Förster, die Försterin. Dann muss es die sogenannten „Helfer“ geben. Hier bieten sich vor allem Waldbesitzer, Grundeigentümer oder auch „klimabewegte“ Menschen an. Worum geht es in der Geschichte? Im Hollywoodfilm und im Märchen ist es meist eine schöne Frau, die „Prinzessin“. In der forstlichen Heldenreise ist das in der Regel die „Prinzessin des Waldes“, die Tanne. Oder der klimafitte Zukunftswald oder sonst ein wenig fassbares und vage definiertes Objekt der Begierde. Die Zuschauer der Heldenreise sollen sich im Laufe der Geschichte so fühlen, als ginge es ihnen am Ende besser. Zum Beispiel weil irgendeine Baumart angeblich nun gedeihen könne, die vorher bedroht war. Aber keine gute Geschichte kommt ohne den Schurken, den Widersacher aus. Und diese Rolle ist klar besetzt: Der Drache in der forstlichen Heldenreise ist der traditionelle Trophäenjäger, der einen Schatz, das gefräßige Wild, bewacht und verteidigt. Lässt man sich einmal auf diese Konstruktion einer Geschichte ein, merkt man schnell, wie mächtig dieses Drehbuch ist – und wie bereits seit Jahren die forstliche Öffentlichkeitsarbeit buchstabengetreu nach diesem Rezept gekocht wird. Und enorm erfolgreich ist!

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(Bild: Reiner Bernhardt)


Stachel im Fleisch

 

Worüber reden Jäger und Jagdverbände in der Öffentlichkeit? Im Frühjahr natürlich gerne über die Kitzrettung. Eine wichtige Aufgabe, den Landwirten bei ihrer Verpflichtung zum Schutz von Wildtieren bei der Mahd zu helfen. Aber so richtig fertig erzählt wird diese Geschichte in der Regel nicht. Dann ist natürlich viel vom Wert von köstlichem Wildbret die Rede, einer gesunden und tierwohlgerecht produzierten Nahrungsquelle – wenn man Exzesse bei Drückjagden mal unerwähnt lässt. Und schließlich sind die Jagdverbände auch bemüht, ihre konstruktive Gesprächsbereitschaft und ihre Unterstützung für die „Herausforderungen beim Waldumbau“ oder bei der „Seuchenbekämpfung“ zu versichern. Ob und was dabei notwendig ist, wird oft in komplexen und wenig öffentlichkeitstauglichen Diskursrunden erörtert.
 
Trotzdem haben einige Jäger bereits begonnen, die Ideen der Heldenreise und der professionellen Propaganda, wie sie von Forstlobbyisten vorgezeichnet wurden, für die Sache des Wildes und der Jagd umzuschreiben. Nicht nur im sprichwörtlichen gallischen Dorf, auch in den bayerischen Auen und im Erzgebirge regte sich Widerstand gegen die propagandistische Übermacht. Kleine Vereinigungen, ob Jagdagenda21, BBW (Bündnis für Wald und Wild) oder Wildes Bayern, Naturschutz-Initiative in NRW oder Grüne Liga Sachsen, begannen, das Narrativ vom „naturschützenden Förster“ infrage zu stellen. In den forstlichen Hochschulen widmete man sich daher schnell diesen „Phänomenen. Es wurden sogenannte „Diskursanalysen“ angefertigt. So stellte ein Hochschulmitarbeiter fest: „Die Bayerische Forstverwaltung versucht z. B. mittels Beratung und forstlicher Förderung, Grundbesitzer für die hohe Bedeutung der Waldverjüngung und damit eine kritische Einstellung gegenüber der traditionellen Jagd zu gewinnen.“ (Zitat aus einem Beitrag von K. Pukall in der Zeitschrift „Der Dauerwald“ vom März 2018.) Diese Strategie werde bedroht, wenn Vereine und Akteure zunehmend da- rauf hinweisen, dass die Protagonisten der Forstwirtschaft oft in Konflikt mit Naturschutzanliegen und Tierschutz gelangen. Der Autor der „Diskursanalyse“ warnt eindringlich davor, es könnte sich „eine neue stabile Diskurskoalition von traditionellen Jägern, Tier- und Naturschützern etablieren, die die ökologische Jagd als Wildschlächterei verurteilen, die nur notwendig ist, … die wirtschaftlichen Interessen des Clusters Wald-Holz-Forst zu ermöglichen.“ Auch hier liefern die fleißigen Forstpolitiker den Leitfaden, wie sich die Jagd im öffentlichen Diskurs behaupten, wie sie Menschen überzeugen und letztendlich auch den „Politikhebel“ ansetzen könnten.
 
Kalkulierte Missachtung von Tierwohl und Rücksichtslosigkeit gegenüber Natur und ihrer Vielfalt können sich in unserer Gesellschaft nicht auf Dauer durchsetzen. Doch müssen die Menschen auch diese Irrwege erkennen können. Die Chancen stehen gut, dass Stimmen, die für Wildtiere sprechen, gehört werden. Doch dazu müssen sich auch die Jäger und Jagdverbände auf eine „Heldenreise“ begeben. Wir müssen die Geschichte der Jagd als Naturschutz und Pflege der Kulturlandschaft nur erzählen wollen.

Autor: Dr. Christine Miller