Aus dem WuH-Testrevier
Fluchtkandidaten
Anfang Juni stand im Testrevier der 2. Siloschnitt an. Wieder war ein Kitzrettungsteam mit Drohne unterwegs. Doch viele Kitze, die es fand, waren erstaunlich mobil. Heiko Hornung geht der Frage nach, was das über deren Setzzeitpunkt verrät und welche Schlüsse der Jäger sonst noch ziehen kann.
Bild: Peter Schmitt
Peter Schmitt hatte schnell wieder ein 6-köpfiges Rettungsteam inkl. der Drohnenpilotin und Social-Media-Managerin Lisa Bauer zusammengestellt. Eigentlich erwarteten wir angesichts der üppigen Deckungssituation im Rest des Reviers keine großen Funde, doch bereits in der 1. Wiese machte das magische Auge der Wärmebildkamera ein Kitz aus. Kaum war das Rettungsteam heran, ging es flüchtig ab. Das sollte sich noch einige Male an diesem Morgen wiederholen. 8 Stück kamen noch hinzu. Lediglich 3 ließen sich fangen und in den WuH-Kitzboxen fixieren, bis die Mahd gelaufen war. Die Fluchtkandidaten hatten in einigen Fällen noch während der Flucht eifrig gerufen, was teilweise die Ricken alarmierte. Manche standen oder saßen in der Nähe der flüchtigen Kitze. Diese wechselten auch nicht mehr in die abgesuchte Fläche ein, sodass keines ausgemäht wurde. Ein guter Tag!
Natürlich beschäftigte uns die Frage, wie alt die Kitze denn gewesen sein dürften, die wir ausgespäht hatten. Aus der Wildforschung wissen wir, dass Kitze mit einem Geburtsgewicht zwischen 800 g und 1,6 kg auf die Welt kommen. Selbst bei Zwillingskitzen kann es zu Gewichtsunterschieden von mehreren 100 g kommen. Auch diese Erfahrung konnten wir an diesem Morgen machen. Ebenso bei der Farbe der Decke und der Ausprägung der weißen Punkte eines Kitzes gibt es z. T. große individuelle Unterschiede. Nässe und Lichteinfall können die Wahrnehmung zudem verzerren. Fest steht aber, dass ein Kitz im Schnitt pro Tag rund 120 bis 130 g zunimmt. D. h. als Faustformel, ohne dass man alle Kitze, die man fängt, wiegen muss: Ein Kitz bis 2 kg ist 1 Woche alt. Pro Woche steigt das Gewicht immer um rund 1 kg. In der Schweiz, dem Land, in dem systematisch Rehkitze zur Wildforschung markiert werden, wurde bereits 1984 versucht, mit dieser Erkenntnis einen Altersschlüssel zu erstellen (s. Tabelle).
Demnach haben Kitze in der 1. Woche zur besseren Tarnung noch viel schwarzes und dunkles Haar. Bereits in der 2. Woche wird dieses dunkelbraun. In der 3. Woche sind die weißen Flecken zwar immer noch gut zu sehen, das Deckhaar ist aber schon weitgehend rotbraun. Ab der 4. Woche nach der Geburt fangen die weißen Flecken an zu verblassen. Nach diesem Altersschlüssel, der natürlich sehr vage, aber zumindest ein Anhaltspunkt ist, waren die flüchtigen Kitze alle älter als 14 Tage, was dafür spricht, dass die Ricken einen Großteil ihres Nachwuchses bereits in der 1. warmen Maihälfte gesetzt hatten. Das erstaunte uns zumindest deshalb, weil wir sonst den Setzhöhepunkt erst in der 2. Maihälfte beobachteten und auch die Fachliteratur den Höhepunkt der Setzaktivitäten rund um den 20. Mai verortet.
Das Fluchtverhalten der Kitze ist nach den Erhebungen der Schweizer Wildforschung sehr unterschiedlich. Während wenige Tage alte Kitze nach dem Markieren flüchteten, blieben andere, bereits ältere Kitze ruhig liegen. Die Markierer beobachteten auch, dass das Fluchtverhalten der Kitze durch die Deckung am Liegeplatz beeinflusst wird. Unabhängig vom Alter flüchtete der Nachwuchs bei Annäherung früher, wenn die Deckung weniger Schutz bot, wie in unserem Fall, denn die Silowiesen waren wesentlich weniger hoch als bspw. die Heuwiesen, deren Mahd noch ansteht. Dieses „Drückverhalten“ führe sogar dazu, dass Jährlinge in hohen Wiesen Gefahr laufen, vermäht zu werden, so die Wildbiologen der Eidgenossen.
Was bedeutet das für uns Jäger? Rund 65 Tage nach dem Setzen sollen Geißen wieder brunftig werden. In unserem Fall würde das heißen, gesetzt den Fall, dass wir an diesem Morgen eine repräsentative Stichprobe gefunden hätten, dass der Höhepunkt der Brunft bereits Mitte Juli zu beobachten sein müsste. Die besten Tage zum Blatten wären damit in der letzten Juliwoche zu erwarten.
Autor: Heiko Hornung