12.07.2023
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Ansprechmerkmal Gesichtsmaske

Farbenspiel

Die Gesichtsfärbung eines Bockes verrät viel über dessen Alter, da sind sich viele Jäger sicher. Pavel Scherer ist da anderer Meinung, und dafür hat er berechtigte Gründe.

Farbenspiel

Bild: Reiner Bernhardt

In Jägerkreisen wird allgemein behauptet, dass eine dunkle Gesichtsfärbung das Zeichen eines jungen Bocks sei, während eine helle bzw. gräuliche Maske das Zeichen eines ­alten Rehs sei. Und es hält sich immer noch hartnäckig die Annahme, dass sich der am Windfang erst klar abzeichnende Muffelfleck mit zunehmendem Alter bis zu den Lichtern und oft bis zur Stirn ausdehnt. Rehe mittleren Alters, also um die 4 bis 5 Jahre, erkenne man anhand der Brille um die Lichter. Seit vielen Jahren halte ich die Gesichtsfärbungen erlegter Rehböcke fest und studiere sie auch an lebenden Gatter­rehen, deren biologisches Alter genau bekannt ist. Immer wieder stelle ich fest, dass die kolportierte Lehre über Farbveränderungen der Gesichtsmaske mit zunehmendem Alter nicht der Realität entspricht. Dass sich die Gesichtsfärbung bei Rehen verändert, stimmt zwar in vielen Fällen. Aber diese Unterschiede treten bereits während einer Rehjagdsaison auf, also innerhalb weniger Monate. So sehen viele ­Böcke im Mai völlig anders aus als im Juli oder August! Am Ende der Brunft scheinen alle – auch Jährlinge – in den ­Augen vieler Jäger älter, als sie tatsächlich sind. Ich beziehe übrigens bewusst nicht den Monat September mit ein, da sich ab dann die Gesichtsmasken aller Rehe durch die herbstliche Umfärbung verändern.

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Dieser Gatter-Jährling zeigt im Mai (l.) noch das für Schmalstücke angeblich typisch dunkle Gesicht. Im Juli (M.) weicht das Schwarz immer mehr weißer Färbung. Die Brille wirkt größer und heller, der Muffelfleck zieht sich nun über den Rücken des Windfangs nach oben. Bis zum August (r.) steigert sich der Anteil der Graufärbung insgesamt noch weiter. Aufgrund des starken Gehörns in Verbindung mit der ergrauten Maske zur Blattzeit wäre dieser Jährling in freier Wildbahn sicherlich von dem einen oder anderen als Mehrjähriger angesprochen worden. (Bild: Pavel Scherer)

Die größten Veränderungen der Gesichtsmasken treten beim Jährling auf. Wenn man deren Masken von Ende Mai mit denen zur Rehbrunft vergleicht, bekommt man den Eindruck, dass es sich um völlig andere, teilweise ältere Böcke handelt. Mit der Brunft beginnt i. d. R. auch der weiße ­Muffelfleck, sich bis zu den Lichtern, oft sogar bis in den Stirnbereich auszudehnen. Rehböcke mit einer dunklen Maske beginnen, einen deutlichen Grauanteil im Stirn­bereich zu zeigen. Dieses zeitlich begrenzte Phänomen lässt junge Böcke automatisch älter aussehen, was oft zu einer Fehlansprache und vorzeitigem Abschuss des Stücks führt. Die Brunft ist deshalb die Zeit, in der die meisten ungewollten Abschüsse getätigt werden. Die Ursachen für die temporären Veränderungen der ­Gesichtsfärbung lassen sich ohne eingehende Laboranalysen nicht eindeutig nachweisen. Meiner Einschätzung nach stehen sie in engem Zusammenhang mit dem Testosteron­spiegel im Blut des Individuums. Während der Brunftzeit, wenn der Testosteronspiegel des Bocks am höchsten ist, treten nachweislich die stärksten Veränderungen auf. Fraglich ist zudem, ob der gesamte Prozess generell im Zusammenhang mit der Dynamik der Herbstverfärbung steht, denn das Haupt ist immer das erste aller Körperteile, das sich verfärbt. Fazit: In der Praxis lohnt es sich nicht, sich auf die Farbe der ­Gesichtsmaske als wichtigen oder gar alleinigen Altersindikator zu verlassen!

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Dieser kapitale 2-Jährige zeigt, wie sich die Färbung bereits innerhalb von nur einem Monat stark verändert: Während auf der Aufnahme vom Juni (l.) das Haupt neben einem leicht abgesetzten Muffelfleck und einer hellen Brille insgesamt sehr dunkel gefärbt ist, ist es im Juli (r.) fast komplett grau. Obwohl es sich um ein und denselben Bock handelt, würde man ihn auf dem rechten Foto als deutlich älter einschätzen. (Bild: Pavel Scherer)

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Aufnahmen aus dem Juni (o.) und August (u.) von demselben 4-jährigen Bock. Die zuvor dunklen Bereiche besonders im oberen Teil des Hauptes weichen einer klar ausgeprägteren Graufärbung. Helle Partien, wie die Maske und der zuvor kaum vorhandene Muffelfleck treten mit der Brunft deutlich hervor und wirken besonders hell. (Bild: Pavel Scherer)

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Wäre dieser starke 6-Jährige nicht anhand seines markanten Gehörns klar wiedererkennbar, könnte man aufgrund des deutlich höheren Grauanteils zur Blattzeit (u.) denken, dass es sich um ein anderes Stück handelte als das auf dem oberen Foto, aufgenommen im Juni. (Bild: Pavel Scherer)

Autor: Pavel Scherer