28.12.2023
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Bewegungsjagd in Böhmen

Ein Traum in weiß

Unweit der deutschen Grenze liegt ein wildreiches Kleinod mit ungewöhnlich hohem Sika- und Muffelbestand. Aber auch das Schwarzwild sorgt für ereignisreiche Drückjagdtage. Peter Schmitt

Ein Traum in weiß

Bild: Martin Otto

Das Knirschen der Stiefel der abmarschierenden Anstellergruppe ist verstummt. Markus Lück erklimmt den gut verblendeten Drückjagdbock an einer kleinen, von Nadelholz umrahmten Wildwiese und befreit ihn vom frischen Pulverschnee. Zu seiner linken bietet sich üppige Sicht in einen mit Altkiefern bestocken Hang. Rechterhand sucht sich ein Bächlein seinen Weg. Das ­Gewehr griffbereit, vergräbt er die Hände in den Jackentaschen und zieht das Kinn tief in den Kragen. Es ist kalt und ruhig – gespenstisch ruhig. Die weiße Pracht scheint die hier im westböhmischen Mittelgebirge eh nur spärlich vorhandenen Zivilisationsgeräusche komplett zu schlucken. Nur die emsige Nahrungssuche zweier Tannenmeisen auf der Spiegelrinde einer Kiefer unterbricht das akustische Nichts. Kein Tapsen, kein Knacken – nichts verrät den Fuchs, der sich aus dem Treiben stehlen will. Nur ein kurzer ­Wischer in Markus‘ Augenwinkel hat ihn verraten. Zu spät! Der Mittdreißiger korrigiert seine Haltung in Richtung des Passes. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich Reineke und das Schwarz­­wild einen Pfad teilen. Die wenig später auf dem Wechsel folgende Sau entgeht ihm nicht. Als die ca. 60 kg schwere Wutz kurz auf ­einer Rückegasse verhofft, ist sich der Jäger sicher: weiblich. Überläufer oder ­Bache? Letztere ist heute nicht frei. Und der Angestellte eines Buchverlags möchte sich heute keinen Fehler erlauben.

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Im Gänsemarsch geht es durchs verschneite Mittelgebirge auf die Stände. Die Waldteile des Reviers sind durch Nadelholz – vorrangig Kiefer und Fichte – geprägt. (Bild: Peter Schmitt)

Die Hofjagd der Familie Donhauser im Böhmerwald ist ein jagdlicher Höhepunkt. Die Mehrheit der Schützen sind geladene Gäste des Jagdreiseanbieters Forst Eibenstein. Zur Buchung freie Plätze sind äußerst limitiert – und begehrt. Denn die Wildvorkommen in Tschechien sind überdurchschnittlich. Hier im ­Revier, das vom Unternehmen in ­enger Kooperation mit einheimischen Waidmännern bewirtschaftet wird, ziehen neben Schwarz- und Rehwild auch zahlreiche Sikas und Muffel ihre Fährten. Plötzlich steht er wie hingezaubert da: schwarz auf weiß – ein Sikahirsch. Immer wieder sichernd, empfiehlt er sich und verschwindet in einen Fichtenanflug. Trophäenträger werden während der heutigen 2 kleineren und dem morgigen größeren Treiben nicht bejagt. Abgesehen von Keilern gilt es dem Nachwuchs und dem weiblichen Wild der anderen Hochwildarten sowie Reineke. Männliches Muffel- und Sikawild kommt ausschließlich per Einzeljagd zur Strecke, dasselbe gilt für alles Rehwild, das heute generell nicht freigegeben ist.

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Eine einzelne Bache passiert den Schützen. Markus lässt sie unbeschossen passieren. (Bild: Peter Schmitt)

Die Hunde nähern sich, und auch Treiber sind nun zu hören. Unvermittelt schlagen hinter einigen Fichten Hunde an. Das Geläut schwillt zum mehrstimmigen Konzert. Da fliegt der Schnee von den Traufästen, und in einer Gischtwolke aus Pulverschnee schiebt sich ein Kujel auf den Wildacker. Ihm folgen wie an ­einer Perlenschnur 3 Geschwister – ein unvergessliches Bild. Doch die Szene wird durch Markus‘ Schuss zerrissen. Der hinterste Frischling zeichnet, hält aber Anschluss und taucht auf der anderen Seite in der Naturverjüngung unter. Nach Ende des Treibens fällt es dem gebürtigen Düsseldorfer nicht schwer, die Fluchtfährte zu halten. Keine 30 m vom Anschuss liegt die verendete Sau im rot gefärbten Schnee.
Tags zuvor war es noch äußerst ungemütlich gewesen, und die Fahrt in die einst durch Silberabbau ­geprägte Region westlich von Pilsen von Dauerregen begleitet. Doch während der gemeinsamen Hubertusmesse am Vorabend – ganz so, als hätte der Jagdpatron persönlich seinen Segen erteilt – wandelte sich der ­Regen in stattliche Schneeflocken.

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2. Treiben: Ein widerborstiger Keiler erwehrt sich im dichten Gebüsch lautstark den anhaltenden Bedrängungen zweier Hunde. Doch außer wackelnder Äste ist für Markus nichts zu sehen. (Bild: Peter Schmitt)

Die dichten Büsche am Rande des Wiesentals beben. Immer wieder stiebt Schnee von den dornenbewehrten Ästen. Giftiger Hundelaut wechselt sich mit dem Brummen einer Sau ab. Markus ist auf seinem Drückjagdbock im 2. Treiben des Tages längst im Voranschlag. Immer heftiger tobt der Bail etwa 80 m entfernt. Noch bevor ein herbeigerufener Hundeführer heran ist, bricht die Sau aus. Der mittelalter Keiler entledigt sich mit ­einem Kopfhieb einem seiner Widersacher und überfällt, gefolgt vom anderen Vierläufer, das Tal. Schemenhaft schiebt sich der massige Körper durch die Traubenkirschen im Gegenhang und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Doch für große Verwunderung ob des Erlebten ist keine Zeit, denn nach und nach erscheinen nun einige Rehe, 2 einzelne Sikas sowie eine Sau, allerdings ohne eine Möglichkeit zum Schuss. Den hingegen bietet ein Frischling, der von einem Laika angejagt, direkt Markus‘ Stand quert und mit sauberer Kugel rolliert.

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ag 2 im Kernrevier: Der Muffel- und Sikabestand ist dort überdurchschnittlich hoch. Die teilweise großen Rudeln erschweren verantwortbare Schüsse. (Bild: Peter Schmitt)

Über Nacht sind die Temperaturen gestiegen, und der Schnee ist so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Markus wird eingewiesen. Er kennt den Stand des 2. Jagdtages. Vergangenes Jahr hatte er dort eine befreundete Jägerin begleitet. Sein Schmunzeln spricht Bände. Doch während nach und nach um ihn herum zahlreiche Schüsse fallen, bleibt der Anblick vorerst aus. „Wir sind offensichtlich im Auge des Orkans“, scherzt er, als sich schemenhaft Läufe durch die Äste einiger Fichten erkennen lassen. 2 starke Sikas stehlen sich heimlich am Stand vorbei und verschwinden hinter einer Hangkante. Doch sie scheinen nur eine Art Vorhut zu sein, denn lautes Knacken verrät weiteres Wild. „Jetzt geht es los“, kündigt Markus an, der offensichtlich weiß, was nun auf ihn zukommt: Ein gemischtes Rudel aus Sikas und Muffelwild flüchtet linkerhand durch den Kiefernwald. Aber auch ohne Schussmöglichkeit ist dieser Anblick atemberaubend. Die Größe des Rudels zu taxieren, ist vollkommen unmöglich. Und auch wenn er an diesem Stand heute keinen Schuss abgibt, entlohnt dieser einmalige, für deutsche Verhältnisse unmögliche Anblick allemal. Nicht nur in Tschechien, auch in anderen osteuropäischen Ländern ist der ­Bezug zu Wild, Jagd und Tradition eben noch ein anderer. Und das nicht nur aus Jägersicht, sondern auch in der Bevölkerung und in weiten Teilen der Forstpartie. Und das sieht man auch am Respekt, der dem Wild am Abend beim feierlichen Streckelegen zuteil wird.

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21 Sikas, 25 Sauen und 20 Muffel kamen an 2 Jagdtagen mit ca. 35 Schützen zur Strecke. (Bild: Peter Schmitt)

Autor: Peter Schmitt