Niederwildhege
„Es lohnt sich!"
Eine hessische Hegegemeinschaft wollte dem Rückgang des Niederwildes und dem Artenschwund in der Feldflur nicht weiter tatenlos zusehen. Also nahm sie die Sache selbst in die Hand – mit unerwartetem Erfolg. Peter Schmitt
Bild: Peter Schmitt
Bereits kurz zuvor, als der Pächter des Reviers Kloppenheim auf einen Feldweg abbog, kam das erste Rebhuhn in Anblick – in Form eines Plakates mit der Aufschrift: „Wer kümmert sich um Rebhuhn und Natur? Die Jägerinnen und Jäger in Hessen.“ Diese und zahlreiche andere Hinweistafeln, sich immer wieder drückende Hasen sowie die vielen vernetzend angelegten Biotope zeigen: Hier wird in Sachen Niederwild richtig was getan. Aber das war nicht immer so.
Auch die Hegegemeinschaft Wiesbaden/Ost hatte mit einem starken Rückgang des Niederwilds zu kämpfen. „Seit den 1970er-Jahren ging der Trend nach unten“, sagt Deußer. „Wir hatten so gut wie keine Hühner mehr, bei den Fasanen und Hasen ging es auch runter. Wir mussten was tun, sonst hätten wir die Niederwildjagd vergessen können“, fasst der Heger zusammen. Einen passenden Anlass bot 2015 das anstehende Verbissgutachten, in Hessen geregelt über das Lebensraumgutachten, bestehend aus Teil A und B. Letzterer regelt die Verbissaufnahme im Wald, Teil A die Aufnahme der ökologischen Verhältnisse in der Feldflur. „Warum machen wir immer nur Teil B, aber nie Teil A?“, wollte Deußer, damals Rehwildsachverständiger, wissen. „Das wäre doch in unserer ausgeräumten Landschaft dringend notwendig“, sagt er. Natürlich hätte der ein oder andere mal eine Äsungsfläche angelegt. Aber bei 80 Bodenpunkten wäre kaum ein Landwirt bereit gewesen, ein wirklich passendes Stück Land herzugeben.
Doch das Gutachten wurde abgelehnt – zu teuer. Also nahm die Hegegemeinschaft die Sache selbst in die Hand und erstellte auf freiwilliger Basis ein eigenes. Der LJV-Hessen unterstützte das Projekt, und schließlich gab auch die Untere Naturschutzbehörde ihr Okay. Ein detaillierter Fragenkatalog ging an die Reviere der Hegegemeinschaft. Alle 25 machten mit. Das Gesamtergebnis zeigte: Es fehlt an geeignetem Lebensraum, u. a. mit der Folge, dass besonders beim Rebhuhn zugefüttert werden müsste, und es herrscht ein zu hoher Prädationsdruck. Anschließend wurde ein Maßnahmenkatalog entwickelt. Klar war: Die Landwirte müssen ausreichend für revierverbessernde Maßnahmen bezahlt werden. Jeder müsste so viel kriegen, wie er mit seiner normalen Produktion auf der Fläche verdienen würde. „Da waren wir bei 1 000 €/ha Eigenland und 1 250 € bei Pachtland. Hinzu kommen das Saatgut sowie die Traktorstunden“, beziffert der Wiesbadener die stattlichen Kosten. Doch woher das Geld dafür nehmen? Man wandte sich an den Umweltausschuss der Landeshauptstadt und hielt einen Vortrag. Schnell kam die Frage nach dem Geld. „Ich hatte das noch gar nicht so genau festgelegt, kurz im Kopf überschlagen und meinte spontan etwa 50 000 € für 2 Jahre“, erinnert sich der Niederwildmann. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Nun mussten kooperative Bauern gefunden werden. „Viele Landwirte müssen von unserer gemeinsamen Verantwortung für die Artenvielfalt erst überzeugt werden. Deshalb muss man sich einen aussuchen, von dem man weiß, dass er ein Herz für Wildtiere hat“, erläutert Deußer das Vorgehen. Der Hegegemeinschaft ist es zudem wichtig, bestimmen zu können, wo revierverbessernde Maßnahmen umgesetzt werden. „Nicht irgendwo am Waldrand, sondern in der Flur, dort, wo es sinnvoll und notwendig ist“, schildert er ein wichtiges Kriterium. Alles fing mit einer Fläche an. Als es bei dieser keine Beanstandungen gab, wurden auch andere Landwirte angesprochen. Die waren sehr vorsichtig. Aber das Jahr drauf hätten sie sich dann mit dem „Vorführ-Landwirt“ unterhalten. Als der bescheinigte, dass alles in Ordnung war und auch die Bezahlung stimmte, kamen immer mehr und damit Flächen hinzu.
Angefangen hat alles mit kleinen, 10 m breiten Streifen. Dann ging es mit den Flächen und deren Größe immer weiter nach oben. Mittlerweile verfügt die Hegegemeinschaft über ca. 60 ha Blüh- und Äsungsflächen. Aber der Weg dorthin war steinig. Trockene Frühjahre verhinderten ein gutes Keimen der Saat und begünstigten Unkräuter. Deshalb sind die Jäger dazu übergegangen, bestimmte Mischungen im feuchteren Frühherbst einzusäen und sie in 3 Bereiche einzuteilen: Während außen Areale mit bspw. „Lebensraum 1“-Mischungen kombiniert mit Markstammkohl eingesät werden, kommt zentral ein breiter Streifen Luzerne. „Luzerne wurzelt tief, ist sehr resistent gegen Trockenheit und zudem eine hervorragende Brut- und Setzdeckung für Rebhühner und Hasen“, erläutert der Fachmann. Aus der ursprünglichen Mindestbreite von 10 m sind mittlerweile mind. 20 geworden. Zum einen beugt das der Prädation besser vor, zum anderen ist man dazu übergegangen, im 2. Jahr einen Teil der Flächen umzubrechen und neu einzusäen. Damit vermindert sich der Unkrautdruck, der auf manche Landwirte abschreckend wirkt.
Der 2. große Punkt war der Einfluss der Prädatoren. „Ermuntern Sie mal Jäger, die auf Schwarzwild fixiert sind, verstärkt auf Raubwild zu jagen. Dieser Sprung ist mit viel Überzeugungsarbeit verbunden“, spricht der Revierpächter eines der größten Probleme an. Aber auch das funktionierte schließlich. Nicht zuletzt, weil die Fangjagd flächendeckend intensiviert wurde. Zum Projektstart wurden Fallen noch bezuschusst. Damit war aber schnell wieder Schluss. „Fallen bedeuten tote Tiere. Das macht sich in der Politik nicht gut“, resümiert der passionierte Raubwildjäger. Er ließ sich selbst schulen und hielt in der Hegegemeinschaft Fangjagdlehrgänge ab. Die Mühe zahlte sich mit einem beachtlichen Anstieg der Räuberstrecke aus. Zudem wurde den Hühnern flächendeckend mit Weizen und Wasser unter die Schwingen gegriffen.
Die Erfolge geben den Wiesbadenern Recht. Bei den Feldhasen ging es innerhalb von 2 bis 3 Jahren sprunghaft nach oben. „Wir haben vor Jahren in meinem Revier im Herbst 50 Hasen auf 116 ha Fläche gezählt. Letztes Jahr waren es auf derselben Fläche 220“, freut sich der Kloppenheimer Pächter. Auch beim Rebhuhn stellten sich bemerkenswerte Erfolge ein. So wurden im Hegering 2019 noch 26 Ketten mit 182 Hühnern gezählt. 2022 waren es 47 mit 370 Exemplaren. Zudem werden wieder Singvogelarten, wie Feldlerche, Wachtel, Schafstelze, Wiedehopf, Rohrammer, Braunkehlchen und Steinschmätzer, bestätigt. Nicht nur deshalb wurde der Hegegemeinschaft für ihr Engagement 2018 der Staatsehrenpreis für Lebensraumgestaltung verliehen. In demselben Jahr wurden in Hessen spezielle Feldflurprojekte zum Schutz der Ackerarten ins Leben gerufen. Die Eröffnung durch Staatsministerin Priska Hinz (Grüne) fand im Hegering Wiesbaden/Ost statt, mit dem Auftrag an die Jägerschaft, das örtliche Projekt zu leiten. Somit ging die Finanzierung auf das Land Hessen über und war nachhaltig gesichert. Von den 10 Feldflurprojekten in Hessen ist das in Wiesbaden übrigens das einzige, das von Jägern ehrenamtlich selbst durchgeführt wird. Aber trotz aller Erfolge ist noch lange nicht Schluss. Es sollen weitere Flächen hinzukommen, um eine noch bessere Biotopvernetzung zu erreichen, und die Motivation müsse weiterhin hochgehalten werden, so Deußer. Er selbst lebt Artenschutz, brennt für „sein“ Niederwild und appelliert: „Ich will den WuH-Lesern klar machen: Kümmert Euch ums Niederwild – es lohnt sich! Packt es an, ruft ein Projekt ins Leben! Ihr stoßt auf offene Ohren, egal ob bei der Naturschutzbehörde oder der Kommune. Das Geld ist da, und oft sind sie froh über jeden, der etwas anpackt!“
Autor: Peter Schmitt