29.01.2025
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15 Min

Entenjagd

Sag mir, wo Die Enten sind

Wären die Enten eine Partei, stünden sie wohl kurz vor der Auflösung. Ein derart rasanter Sturzflug der Streckenzahlen, wie ihn das Wasserwild seit Jahren hinlegt, lässt nichts Gutes vermuten. Anstatt aber auf ein Jagdverbot zu warten, könnten Jäger wirklich was tun. Dr. Christine Miller

Sag mir, wo Die Enten sind

Bild: shutterstock.com/Jim Cumming

Wie Pralinen aus der Konfektschachtel wird eine Art nach der anderen von der Liste der jagdbaren Arten gepickt. Den Entenbesätzen hilft das wenig, und den Ursachen des Vogelschwundes kommt man so jedenfalls nicht näher. Dabei gibt es viele gute Beispiele, wie man Wasserwild besser schützen und gleichzeitig bejagen kann. Im Gegensatz zu Deutschland hat man in anderen Ländern die Jagd eher als Partner denn als Gegenspieler beim Vogelschutz erkannt.
 


Fremde Federn


Wenn sich alles gleichzeitig verändert, wird es schwierig, Ursachen und Wirkung zu unterscheiden. Einerseits nimmt das Interesse und das Wissen um Regulation und Gefährdungsursachen von Wasservögeln stetig ab. Die Jagd auf Schalenwild scheint alle anderen jagdlichen Aktivitäten in den Schatten zu stellen. Aber gleichzeitig ändern sich die Umweltbedingungen für Wildtiere. V. a. die mobilen Arten, die schnell weite Strecken fliegen können, um geeignetere und angenehmere Lebensräume zu finden, zeigen Anpassungen an mildere Winter und trockenere Sommer. Enten optimieren ihre Habitatwahl in jedem Moment ihres Lebens. Ändern sich die Bedingungen im jeweiligen Lebensraum, ändern sie auch ihr Zugverhalten. Die Prädatorenkontrolle im Brutgebiet hilft, den Herbstbesatz in anderen Revieren zu heben. Die Vermeidung von Störungen im Winter trägt in anderen Regionen Früchte. Und Zurückhaltung bei der Herbstbejagung sorgt eher für einen Mangel an wichtigen Eckdaten als für einen Mangel an Enten.

Deutschland liegt im Zentrum vieler Wanderrouten für Vögel, die weiter im Norden brüten. Ebenso beherbergen die Bundesländer von der Ostsee bis zu den Voralpenseen Wintergäste aus den Brutgebieten von Nord- bis Mitteleuropa. Und wie beim Fernlastverkehr bieten unsere Gewässer die zentralen Rastplätze für die Wasservögel, die von Ost nach West sowie von Nord nach Süd ziehen. Regelmäßig tauchen hier neben der allgegenwärtigen Stockente auch Pfeif- und Spießenten, Knäck- und Löffelenten, Moor-, Berg- und Samtenten auf. Die kühlen Bergseen der Alpen bieten außerdem auch im Frühjahr und Sommer ähnliche Bedingungen, wie sie Arten mit einem Verbreitungsschwerpunkt in Skandinavien, Finnland oder Sibirien lieben. Und für Tauchenten, wie Tafel- und Reiher­enten, sind die süddeutschen Gewässer die wichtigsten Überwinterungsorte schlechthin.

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Ein Reiherentenerpel züchtigt eine Ente. Die Art ist im Winter ein ständiger Gast an süddeutschen Seen und Gewässern. (Bild: Reiner Bernhardt)

Je milder die Winter, desto kürzer fallen die Zugstrecken aus, und mit immer wärmer werdenden Wintern werden die Vögel zu Stubenhockern. Das hat auch für das Monitoring gravierende Auswirkungen. Bisher lieferten Zählungen in den Überwinterungsgebieten bei allen Entenarten gute Schätzergebnisse zum Gesamtbesatz. In vielen Rastgebieten wurden die Vögel auch markiert, und aus den Ringfunden konnten die Zugwege und Brutgebiete ermittelt werden. Das allein macht heute kaum noch Sinn. Die üblichen Wintervogelzählungen geben inzwischen einen anderen Ausschnitt der kontinentalen Entenpopulation wieder als noch vor 50 Jahren. Ob ein Rückgang dieser Zahlen tatsächlich mit einer Abnahme der Brutpopulationen zusammenhängt, muss daher mit weiteren Zählungen und Untersuchungen geklärt werden. Aber leider gibt es weder systematische Erfassungen, wie sich Winterstrenge und -länge genau auf das Zugverhalten auswirken, noch wurden Beringungsstudien bei Enten weitergeführt. Schon seit Jahrzehnten wurden immer mehr davon eingestellt.

Nun rächt sich, dass wir kaum wissen, woher die Enten in den winterlichen Rastgebieten kommen. Und aus der schieren Zahl an Enten, ob im Winter, Frühling oder Herbst gezählt, kann praktisch nichts über die Entwicklung des Besatzes bis zur nächsten Brutzeit gefolgert werden. Dem Vorwurf, mit der herbstlichen Jagd den seltenen Arten den Todesstoß zu versetzen, haben die Jäger keine Fakten entgegenzusetzen.

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Tafelenten beim Zug: Ihre sinkende Zahl und der Erpelüberhang lassen sich nur schwer erklären. (Bild: Reiner Bernhardt)


Meine Enten – deine Enten


Am Beispiel von 2 Tauchenten, der ­Tafel- und der Reiherente, haben französische Forscher nun das saisonale Wandern der Enten verfolgt. Sie ver­glichen alte Aufzeichnungen von Ringfunden und markierten Tauchenten individuell mit bunten Schnabelklemmen. Im Fall von Krickenten verglichen sie großräumig die Zähl- und Strecken­daten. Mehr als eine Viertelmillion Krick­enten überwintern an Gewässern in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. Demgegenüber liegt die jährliche Strecke allein in Frankreich bei 300 000 Stück. Können das die Krickenten wegstecken? In Nordwesteuropa scheinen die Besätze leicht zu steigen, im westlichen Mittelmeerraum zeigen sie einen geringen Abwärtstrend. Wie verlässlich diese Schätzungen aber tatsächlich sind und worin die Ursachen liegen, ist bisher unklar. Die Besätze der Tafelente sind dagegen in den vergangenen Jahrzehnten buchstäblich zusammengebrochen. Seit Mitte der 1990er-Jahre ­wurden auf den Zugrouten jährlich ­zwischen 2 und 6 % weniger Vögel gezählt. Gleichzeitig kippte das Geschlechterverhältnis dramatisch in Richtung Erpel. Wo sind die weiblichen Enten geblieben? Auf der Suche nach den Ursachen dieses dramatischen Rückgangs wurde auch die Jagd kritisch beleuchtet. In Frankreich werden jährlich immerhin 25 000 Tafelenten erlegt, wobei die Winterzählungen ca. 65 000 Vögel aufweisen. Doch im Vergleich mit Ländern, in denen Tafelenten kaum bejagt werden, fanden sich keine Unterschiede in der Überlebenswahrscheinlichkeit der Enten und auch nicht beim Populationsrückgang.

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(Bild: Tableau et al 2022)

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, dass alle Wasservogelbesätze Europas, vom Nordkap bis ans Mittelmeer, von der Atlantikküste bis nach Sibirien, ein großes Netzwerk bilden. Die Einflüsse in jeder Jahreszeit und in jedem saisonalen Lebensraum sind wie in einem System aus kommunizierenden Röhren miteinander verbunden.
 


Winterruhe


Ruhe, kein Eis und ausreichend Nahrung sind die Voraussetzungen für ein gutes Wintergebiet. Das kann gleich neben dem Brutgebiet oder Tausende Kilometer davon entfernt liegen. Gründel- und Tauchenten füllen während der ersten Zeit im Winterquartier ihre Reserven auf. Im Hochwinter kümmern sie sich um ihr Umfeld: Wer kann und will sich mit wem verpaaren? Ab Ende Februar nutzen die nun fest verpaarten Enten ihren dominanten Status, um sich die Mägen an besten Nahrungsgründen im Winterquartier noch mal so richtig voll zu schlagen. Die besten Karten ­haben dabei die Enten, die diese 3 ­„Arbeitsphasen“ (Fressen-Verpaaren-­Fressen) so schnell wie möglich hinter sich bringen und als erste im Brutgebiet eintreffen. Tatsächlich landen die am frühesten brütenden Krickenten auf den nahrungsreichsten und sichersten Gewässern und führen auch die meisten Küken. Die kleinen, ziehenden ­Enten – viele von ihnen leben im Winter im Mittelmeergebiet und im Westen Frankreichs – sparen am Fluggewicht und setzen dafür auf pünktliches Erscheinen in Brutgebiet. Die größeren Zugvögel bringen dagegen angesparte Reserven als Brutkapital aus den Winter- und den Rastgebieten mit. Je milder der Winter, desto eher sind die kleinen Enten fit für den Abflug ins Brutgebiet.

Bevor die Vögel in ihre Brutgebiete aufbrechen, sind sie am empfindlichsten gegenüber Störungen. Wenn sie jetzt zu oft auffliegen oder von den guten Gewässern auf schlechtere ausweichen müssen, zahlen sie dafür mit schlechterer Kondition und brechen erst später zum Frühjahrszug auf – messbar in weniger Küken, die im Herbst wieder in die Winterquartiere fliegen. Störungen auf dem Weg dorthin sind weitaus weniger dramatisch und wirken sich praktisch kaum auf das Wachstum der Gesamtpopulation aus. Die Dynamik von Entenbesätzen wird nicht mit Schrot im Herbst, ­sondern eher mit Korn (also passender Entennahrung) im späten Winter gesteuert. Ab Januar sollten die Wasservögel daher unbedingt Ruhe haben. Denn viele Störungen können zu veränderten Hormonspiegeln bei den weiblichen Enten führen, die sich zur Brutzeit in geringerer Gelegegröße und damit geringerem Bruterfolg niederschlagen.

Kälteeinbrüche machen v. a. den kleineren Arten zu schaffen. Krickenten weichen im Winterquartier bei strengem Frost weiter nach Südwesten aus. Dabei ändern sie auch immer wieder ihre Zugrouten. Werden jetzt in ­einem Überwinterungsgebiet plötzlich mehr Enten gezählt, ist nicht die Zunahme des Besatzes, sondern eine Verschiebung der Wintereinstände die ­Ursache. Nur zu wissen, wie viele ­Vögel zu einer bestimmten Zeit auf ­einer bestimmten Fläche stehen, hilft nicht viel, wenn man die Dynamik ­dieser Wildart verstehen will. Mit den herkömmlichen – aufwendigen – Winterzählungen stößt man dabei an die Grenzen.

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(Bild: PPZV)


Brutbetrieb


Für alle Entenarten gilt: Der Nestplatz selbst muss sicher vor Gelegeräubern sein. Sobald die Eier im Nest liegen und die Ente brütet, trennt sich der Erpel. Für sie beginnt nun die gefährlichste Phase im Jahreslauf. Mancher Fuchs nimmt eben nicht nur Eier oder Jung­vögel, sondern frisst auch die Ente. In diesem Umstand liegt das verschobene Geschlechterverhältnis bei allen Enten­arten.

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Eine Stockente auf dem Gelege. In dieser sensiblen Phase werden nicht nur die Eier, sondern auch die Ente selbst Räuberbeute. (Bild: Reiner Bernhardt)

An den masurischen Seen in ­Polen untersuchten Forscher das Schicksal von Eiern in Kunstnestern. Sie fanden die, wie sie es nannten, „Großen Vier“. Nur etwa 8 % der Gelege überlebten mehr als 10 Tage. Die Hälfte der Eier fiel dem Marderhund zum Opfer, etwa ein Viertel der Gelege wurde von Rohrweihen geplündert. Nebelkrähen, die östliche Schwesterart der Rabenkrähe, und der Amerikanische Mink holten sich je etwa 11 bis 12 % der Gelege. Bei den frühen Gelegen, die im April ausgelegt wurden, waren die gefie­derten Eierdiebe noch erfolgreicher. Je dichter die Schilfgürtel wuchsen, desto mehr Beute holten sich die Marderhunde. Vermutlich spielte dabei ebenfalls eine Rolle, dass im Sommer auch die jungen Marderhunde abwanderten. Nur die Wassertiefe konnte ­einen gewissen Schutz vor den Raubsäugern bieten.
Nun kann jedes Brutgebiet ein anderes Spektrum von Gelegeräubern beherbergen. Auch Fuchs, Dachs, Iltis, Marder und Waschbär können zu bedeutsamen Verlusten führen. Zunehmende Populationsdichten bei vielen Beutegreiferarten wirken direkt und empfindlich auf den Bruterfolg aller Bodenbrüter.

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(Bild: Quelle: Brzezinski et al 2024)

Eine neue und nicht zu unterschätzende Gefahr stellt auch die Zunahme der Nilgans dar. Diese Art hat heute ein zusammenhängendes Brutgebiet von England bis an die polnische Grenze. Nilgänse sind während der Brutzeit sehr territorial und dulden keine anderen Entenvögel in ihrem Revier. Sie ertränken andere Vögel und greifen sogar Jungrinder an, wenn die einem ihrer Küken nahe kommen.

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Ein Mink hat eine Stockente gegriffen. Vielerorts ist der schwimmfreudige, invasive Räuber zum Problem für das heimische Wasserwild geworden. (Bild: OKAPIA KG, Germany)

Während in den vergangenen Jahrzehnten die Sterblichkeit im Winter bei den Enten vermutlich geringer wurde, haben die Verluste während der Brutzeit und im Sommer deutlich zugenommen. Trotzdem kann eine Bekämpfung von Raubsäugern allein nicht immer zur Erholung schwindender Wasserwildbesätze führen.
Außerdem schwankt der Bruterfolg jedes Jahr mit dem jeweiligen Frühjahrswetter im Brutgebiet. Entscheidend ist dabei, wie viele Insektenlarven in der Zeit schlüpfen. Wie bei allen Vögeln ist das zeitgerechte Angebot an Insekten-Biomasse das Nadelöhr für die Jungtiere. Ist es zu kalt, zu trocken oder war der Winter zu kurz, verpassen auch die jungen Enten die „Insekten-Welle“. Dazu schwächt kaltes und feuchtes Wetter während der Brutzeit auch die Brutenten. Dabei wirken die Wetterbedingungen während der Brutzeit unterschiedlich auf die verschiedenen Entenarten in den jeweiligen Lebensräumen. Stockenten scheinen dabei grundsätzlich weniger empfindlich als die kleineren Arten und v. a. als die etwas später brütenden Tauchenten zu sein. Welchen Einfluss Störungen auf den Bruterfolg der Enten haben, ist, wie so vieles Weitere auch, noch genauer zu erforschen.
 


Jagdsaison


Wie gut eine Ente durch die Jagdzeit kommt, hängt von vielen Faktoren ab. Tatsächlich entwickeln sich die Winterzählungen und die herbstlichen Strecken in den einzelnen Regionen unterschiedlich, manchmal gegenläufig. Erst der Blick auf die Entenbesätze im ­gesamten Zuggebiet kann zeigen, ob die Jagd nachhaltig ist – oder ein Jagdverzicht in einem Land überhaupt Auswirkungen auf den Zustand der Population haben kann.

In einigen Gebieten nehmen die ­Enten ab, was aber nicht auffällt, weil aus anderen „Überflussgebieten“, z. B. in Osteuropa, immer Nachschub kommt. Von dort können sich die ­Besätze im Westen regelmäßig wieder auffüllen. Sterben jedoch in einem ­Vorkommen zu viele Enten oder ist der Zuzug aus einer „Überdruck“-Region behindert, können lokale Besätze ­abnehmen oder sogar verschwinden. Ziehen allerdings zu viele Enten aus den wachsenden Populationen in die stark bejagten Einstände – und werden dort erlegt, könnte das gesamte Netzwerk zusammenbrechen. Um das zu vermeiden, muss man wissen, wo die wertvollen „Überflussgebiete“ liegen. Und diese Information erhält man nur mit aktuellen Daten über die europäischen Entenbesätze.

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(Bild: Quelle: DJV)

In Nordamerika wurde schon vor über 100 Jahren ein multinationales Abkommen zum Schutz von wan­dernden Vogelarten entlang ihrer Zugrouten geschlossen. Heute gilt seit 39 Jahren der laufend aktualisierte „Nordamerikanische Wasservogel Management Plan“, den die USA, Kanada und Mexiko 1986 geschlossen haben. Darin werden Monitoring, Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Jagdplanung zwischen den 3 Ländern, den Forschungseinrichtungen, den Jägervereinigungen und Vogelliebhabern sowie Naturschützern abgestimmt und koordiniert (nawmp.org oder nawmp.wetlandnetwork.ca).

Der Schutz wichtiger Lebensräume, Rastplätze für Wasservögel und jagdliche Regeln müssen mit Besatzschätzungen und Forschungsergebnissen Hand in Hand gehen. Aktuell werden in Nordamerika 60 Wasservogelarten bejagt, und weitere 170 Arten sind grundsätzlich bejagbar. In Europa gibt es 65 Vogelarten, die in wenigstens ­einem EU-Land legal bejagt werden. Der Fokus beim Vogelschutz geht in ­Europa immer eher in Richtung „Schutz ohne Nutzung“. Die Jagd wird hier eher als Gegenspieler denn als Partner gesehen. Aber wichtige Hilfen, wie die Kontrolle von Gelegeräubern, gehen nur mit der Jagd. Und die so entscheidenden Daten zur Struktur von Vogelbesätzen lassen sich am besten über Streckenanalysen erheben. Das Verhältnis von erlegten Jungvögeln zu den mehrjährigen Enten liefert die dringend notwendigen Hinweise auf die Altersstruktur der Besätze. Daten, die es nur mithilfe der Jäger geben kann. Dieser Schatz liegt bei uns weitgehend noch im Verborgenen. Hier wäre ein wichtiger ­Ansatz der Jagdverbände Deutschlands und seiner Nachbarländer, diesen Schatz zu heben und die notwendigen Forschungen anzustoßen.
 
Deshalb der Appell auch an die Jagdverbände: Mehr Augenmerk auf die Entenjagd! 

Autor: Dr. Christine Miller