02.09.2023
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4 Min

Jäger-Survival

Verlaufen, nicht verloren

Alleine in der Fremde. Der rettende Weg ist gar nicht weit. Aber wo genau? Der Grünrock hat sich zuerst grob eingenordet. Jetzt muss er sich noch „einpendeln“.

Verlaufen, nicht verloren

Bild: AdobeStock

Verschollen bei der Auslandsjagd. Aufgrund von Unaufmerksamkeit, eines Zufalls oder gar Unglücks steht der ortsfremde Grünrock von jetzt auf gleich ganz alleine da. Keine Spur von Zivilisation, Helfern oder Einheimischen. Handyempfang sowie Ortskenntnis gleich Null. Weder Weg noch Steg weit und breit. Fiese Situation, aber nicht aussichtslos. Es gibt gleich mehrere Möglichkeiten, mit dieser Lage umzugehen. In jedem Fall gilt: Nur nicht die Nerven verlieren! In vergangenen JWW-Ausgaben haben wir bereits einige Tipps von Survival-Experten vorgestellt: Orientierung in der Natur, Bau eines Notlagers, SOS-Zeichen ... In dieser Folge geht es um das „Zurückfinden“ auf bekannte oder zielführende Wege.

Runterkommen, nachdenken

Krasses Szenario: Im dichten, endlosen Holz von Britisch Kolumbien hat der Gast-Jäger einen Elch beschossen. Schweiß nur am Anschuss. Kontrollsuche. Der Jagdführer zeigt anfangs Biss. Kreuz und quer geht es durch den Busch. Ziemlich lange. Dann pumpt der einheimische Berufsjäger schwer und bricht schlagartig zusammen. Schock. Erste Hilfe. Vergeblich. Exitus.Runterkommen. Durchatmen. Mund und Tränen abwischen. Raus hier. Aber wohin? Kein Schnee, keine Pirschzeichen. Dafür Bäume überall. Survival-Experte Volker Lapp bestätigt: „Ruhig bleiben! Hinsetzen. Nachdenken.“ Das tut der verirrte Grünrock. Und ihm fällt etwas Wichtiges ein: Die Nachsuche hat etwa 30 Minuten gedauert. Sie begann an einem Pirschpfad. Der führt nach rund 200 Metern auf einen Sandweg und der zum Auto. Zuversicht: Da kann ja eigentlich nichts schief gehen. Nur einfach zurück. Ein Kinderspiel.
Die Ernüchterung kommt auf den zweiten Blick: Der geplagte Weidmann glaubt zwar, grob die Richtung zu kennen. Aber eben nur in einem 90-Grad-Bereich. Driftet er von der gedachten Linie zu weit ab, verpasst er den bekannten Startpunkt – meilenweit. Dann wird’s wirklich eng. Für „einfach mal drauf los laufen“ viel zu riskant. Das Licht hält noch drei Stunden. Die Nächte sind eiskalt, Bären keine Kuscheltiere. Ein bombensicherer Plan muss her!

Besser als Hänsel und Gretel

Und den hat er: Das Zauberwort heißt „einpendeln“. Der Jäger plant von seinem Standpunkt aus notfalls mehrfach loszulaufen – so lange, bis er am Ziel ist. Er weiß ja, dass er dort nach spätestens 30 Minuten ankommen muss. Das ist zwar aufwendig, aber verhältnismäßig sicher. Dafür markiert er sich mit Ästen die denkbar linksseitigste bzw. rechtsseitigste Strecke. Mittig, also auf dem (gefühlt) zielführendsten Weg, startet er. Beim nächsten Versuch wird er einige Grade weiter rechts laufen und sich so zur äußersten, rechtsseitigen Strecke vorarbeiten. „Sternförmiges Ausschwärmen“. Führt das zu nichts, pendelt er sich links von der Mitte ein. Immer weiter nach außen. Irgendwann wird ein Treffer dabei sein.
Aber wie bei Misserfolg zurückfinden? Klar, jede Strecke muss markiert werden. Und zwar auf Augenhöhe, gut erkennbar und totsicher. Hänsel und Gretels Brotkrumen hatten sich ja nicht bewährt.


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(Bild: Markus Lotz)

So kramt er Anschussmarkierungen, Notizbuchblätter, Ersatzklamotten und Messer aus dem Rucksack. Ist alles griffbereit, spart das Zeit. Bevor er losmaschiert, hängt er noch seine Treiberweste hoch in einen freistehenden Baum. So kann er schon aus der Ferne die Basis wiederfinden. Und los geht’s: Die erste Markierung setzt er nach 200 Metern. Ein Blick zurück beruhigt ihn. Von hier aus kann er noch die Signalweste im Baumwipfel erkennen. Weiter. Etwa alle 100 Meter ein Stopp, um neue Zeichen anzubringen. Das dauert etwas, weswegen der „Pfadfinder“ noch zehn Minuten auf die vermuteten 30 drauflegt.
Dann ist die Zeit rum. Kehrtmarsch. Sicher und schnell findet er zurück. Das Ganze hat eine gute Stunde gedauert. Dann Neujustierung und zweiter Gang. Auch der führt ins Nichts. Dann der dritte: Schon nach 20 Minuten findet er eine Schweißmarkierung der vorherigen Nachsuche. Ab hier ist alles ganz einfach. Er wird nun schnell Hilfe holen. Erst jetzt findet unser Jäger Zeit für Trauer, Ruhe und Dankbarkeit: Immerhin ist er heil davongekommen ...

Autor: Hans Jörg Nagel