07.09.2023
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JWW
Ausgabe 04/2023
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14 Min

Tschechien

Schnecken mit Tempo

Mal wieder einen Muffel zu erlegen, ist mein Wunsch.Da wir an der tschechischen Grenze wohnen, ist eine Jagd in Böhmen naheliegend. Mein Sohn ist mit von der Partie.

Schnecken mit Tempo

Bild: Stefan Büttner

Der Schuss ist noch nicht verhallt, da tönt es neben mir aufgeregt: „Schießen, Schießen, schnell, schnell!“ Was soll das? Was meint der denn? Mein sonst abgeklärter und besonnener Jagdführer ist aus dem Häuschen und tobt herum wie Rumpelstilzchen. Da sehe ich, was er meint: Ein Muffelwidder flüchtet den Gegenhang entlang.
Auf den ersten Eindruck hin läuft er nicht „ganz rund“. Was soll ich tun? Erneut der hektische Ruf des Jagdführers: „Schnell schießen!“ Na, wenn der meint. Ich setze rasch den Schießstock um und bin bereit, dem Stück beim Verhoffen eine Kugel anzutragen. Gesagt, getan! Und schon kullert der Muffelwidder – hochblatt getroffen – den Steilhang hinab.
Große Erleichterung und Schulterklopfen von meinem Gegenüber. Sogar ein Lob meine ich herauszuhören. Als mein Jagdführer zum Stück will, ich aber in die andere Richtung zeige, wird er kreidebleich. Puh, was ist denn hier geschehen? Doch der Reihe nach ...


Mufflons


Mich fasziniert diese urige Wildart seit jeher. Und ich finde es beschämend, wie bedenkenlos eine Population nach der anderen dem Wolf geopfert wird, ohne dass etwas dagegen unternommen wird. In Deutschland sind erste Bestände seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt, in Österreich gar seit dem 16. Jahrhundert. Warum hat Muffelwild kein Bleiberecht? So willkommen der Wolf auch ist, eine gewisse Balance und ein Ausbreiten mit Augenmaß täte allen Beteiligten gut und sorgte für mehr Akzeptanz.
Neben dem Wolf hat das Muffelwild ein weiteres, weniger hitzig diskutiertes Problem: Mir ist ein Vorkommen bekannt, welches aus einem anderen Grund abwandert – dem Waldumbau. Der klimastabile Mischwald mit dem Verschwinden der hallenartigen Laubholzaltbestände hin zur „Grünen Hölle“ behagt diesen, auf ihren Gesichtssinn angewiesenen Schafen nicht.
Wie auch immer, niemand weiß, wie lange Mufflons in freier Wildbahn noch bejagt werden können. Daher will ich die Gelegenheit nutzen, diese Wildart auch meinem Sohn Leonhard näher zu bringen.


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Blauer Himmel und goldgelbes Herbstlaub, da macht das Pirschen gleich doppelt Freude (Bild: Stefan Büttner)


In Böhmen


Bekanntermaßen wird in Tschechien Jagd- tradition noch großgeschrieben. Wild erfährt auch bei Forstleuten eine große Wertschätzung. Es gibt dort Regionen mit guten Beständen in freier Wildbahn sowie den dort populären Jagdgattern. Ich möchte nicht auf das Für und Wider von Jagdgattern eingehen und auch nicht in Abrede stellen, dass man dort „echt“ weidwerken kann. Für uns ist dennoch klar, dass nur das Weidwerken in freiem Gelände in Frage kommt. Die Stärke der Trophäe spielt eine untergeordnete Rolle. Ich will halt gern einmal wieder auf Muffel jagen.
Da keine Ferien sind, kommt lediglich ein Wochenende in Frage. Insofern wird dies eine recht sportliche Angelegenheit mit beschränkten Chancen. Im Internet werde ich jedoch rasch fündig und kann von Freitag bis Sonntag eine Jagd im schönen Böhmen buchen. Das Revier befindet sich zwischen Pilsen und Prag, rund 40 Kilometer westlich der Hauptstadt. Die Unterkunft, romantisch am Fuße einer Burg direkt am Fluss Beronka gelegen, sieht vielversprechend aus. Und so freuen wir uns auf ein „Männerwochenende” mit Hund. Da wir den Anreisetag noch zur Jagd nutzen wollen, wurde mit dem Hotel problemlos ein abendliches Einchecken nach der Jagd vereinbart.


Auf, auf zur Jagd


Der Erfolg scheint ungewiss, da der Termin im November nach der Brunft liegt und nur 2,5 Jagdtage vor uns liegen. Mit gepackten Sachen im Auto hole ich Leonhard direkt von der Schule ab, um rechtzeitig zur Nachmittagspirsch am Freitag im Revier zu sein.Nach zweistündiger Autofahrt erreichen wir pünktlich um 14 Uhr den Treffpunkt. Dort wartet bereits unser Jagdführer auf uns, ein rüstiger Rentner. Er betreut einen Pirsch­bezirk im dortigen Forstamt. Sprachlich verständigen wir uns mehr schlecht als recht. Aber wir wissen ja, was zu suchen ist.
Schnell macht Mira uns klar, dass wir keinen Hochsitz besteigen, sondern ausschließlich pirschen werden. Das ist ganz nach meinem Geschmack! Da Muffel für einen gut ausgeprägten Gesichtssinn bekannt sind, wird das zu dritt sicher nicht einfach werden. Um der ganzen Aktion nicht den Charakter eines Wandertages zu verleihen, muss unsere Steirische Rauhhaarbracke Alf sehr zu deren Verdruss im Auto auf uns warten. Es gibt klare Anweisungen, wie wir uns zu verhalten haben: Gänsemarsch, um eine möglichst kleine Sillouette abzugeben. Und zur Salzsäule erstarren, wenn der Jagdführer stehen bleibt. Alles klar!
Die Fahrt weg vom Treffpunkt dauert nur wenige Minuten, liegt dieser doch mitten im Revier. Kurz die maximal angestrebte Punktezahl mit 200 Internationalen Punkten beziffert, und schon geht’s los. Der Jagdführer vorneweg, ich in der Mitte, am Schluss Leonhard. Wundervolle steile und steinige Laubholzhänge prägen das Bild. Das Terrain ist derart schroff, dass ich mich auf der Gamsjagd wähne, wäre ich nicht mitten im Wald. Insgeheim bin ich froh, meinen Schießstock dann und wann als Bergstock nutzen zu können. Stolz bin ich auf meinen 10-jährigen Sohn, der das Ganze ohne solche Hilfe und in Gummistiefeln meistert.
Rund drei Stunden dauert diese erste Pirsch durch wundervolle und knorrige Eichenbestände, wo wir mit mastaufnehmenden Wildschafen rechnen. Lediglich an strategischen Punkten oder Wechseln halten wir für etwa eine Viertelstunde inne und machen es uns in der Regel auf einem umgestürzten Baum oder Ähnlichem bequem. Wir erfahren, dass es sich bei dem Gelände um ein Naturschutzgebiet handelt, welches forstlich nicht bewirtschaftet wird. Umgestürzte Baumleichen und aufkommender Nebel tauchen die Szenerie in ein verwunschenes Licht.
Bei einer dieser Pirschpausen kommt ein junger Widder in Anblick. Obwohl er ohnehin nicht für einen Abschuss in Frage kommt und wir uns von daher nicht rühren, nimmt er uns schnell wahr und springt ab. Gut eine Stunde später entdecke ich einen starken Widder – steil über uns am Horizont. Und dies nur dank Wärmebildkamera. Fehlender Kugelfang und zahlreiche Äste der zwischen uns und dem Wild befindlichen Bäume lassen nicht an einen Schuss denken. Der Muffel wähnt sich auf seiner Bastion sicher und beäugt die drei Gestalten sehr lange, bis er aus unserem Blickfeld entschwindet. Wir versuchen, einen weiten Bogen schlagend, ihm entgegen zu pirschen. Leider bekommen wir weder den Gesuchten noch ein anderes Stück Wild in Anblick. Bei völliger Dunkelheit sind wir sichtlich erschöpft wieder beim Auto und verabreden uns für die nächste Morgenpirsch.


Auf ein Neues!


Zunächst heißt es für uns aber, die Unterkunft aufzusuchen. Das Hotel liegt eine knappe Viertelstunde entfernt am Fuße einer mächtigen Burg, welche die Haupt- sehenswürdigkeit des Ortes bildet. Ent- gegen meiner sonstigen Erfahrungen in tschechischen Gasthäusern gibt es keine deutsche Karte. Insofern gestaltet sich der Abend recht unterhaltsam, da wir per Handy die Gerichte ins Deutsche zu übersetzen versuchen. Da kann es schon einmal passieren, dass man Schweinebraten mit Ente bestellt! Am Ende hatten wir alles, was wir brauchen. Die böhmische Küche lässt so schnell niemanden verhungern.
Leonhard und Alf bleiben morgens im Hotel, sodass ich mich allein zur vereinbarten Uhrzeit am Treffpunkt einfinde. Nicht nur der Treffpunkt, auch die Pirschroute ist nahezu exakt der- bzw. dieselbe. Viele markante Stellen erkenne ich wieder. Dies macht mich etwas stutzig. Die Frühpirsch bringt überhaupt keinen Anblick. Mein Jagdführer ist sichtlich enttäuscht und kann sich keinen rechten Reim darauf machen.
So schön das Gelände sowie ausgiebig die Pirschgänge auch sind, da uns nur fünf Ausgänge zur Verfügung stehen, sehe ich meine Chancen stark schwinden. Also, die erste muss genutzt werden. Ich unke daher mit meinem Begleiter, aufgrund der ersten beiden Ausgänge, dass wir einen „Plan B“ brauchen.
Nachmittags beginnen wir unsere Pirsch an einer anderen Stelle. Dieser „Plan B“ beim dritten Ausgang bringt die Wende: Wir haben ein Widderrudel vor, welches bereits etwa 50 Meter nach Verlassen des Autos – von uns locker gemacht – zügig eine Schneise überquert. Ich gehe in Anschlag, höre aber von meinem Jagdführer nichts. Schnell fasse ich den Entschluss, mein Glück selbst in die Hand zu nehmen: Ein junger, zum Einwachser tendierender Widder liegt am Anschuss. Meine Freude ist groß, lediglich der Jagdführer begeistert sich nicht so recht, da er lieber einen Stärkeren zur Strecke gehabt hätte. Als er dann per Handy seinen Chef anruft, wird mir etwas mulmig: Werde ich wegen meines selbstständigen Handelns getadelt werden?
Nachdem mir der Jagdleiter am Telefon Weidmannsheil wünschte und ich ihm versicherte, dass wir durchaus noch einen weiteren Trophäenträger erlegen würden, ist er zufrieden. Auch bei unserem Jagdführer hellt sich die Miene auf. Zunächst versorgen wir das Wild, machen Fotos und freuen uns nun beide über den Jagderfolg. Wir genießen die restliche Abendpirsch mit Anblick von Muffel- und Rotwild und kehren zufrieden in unsere Unterkunft zurück. Dank der Technik klappt das Bestellen immer besser. Und ich denke, spätestens nach einer Woche können wir die komplette Karte auswendig übersetzen.


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Der Bann ist gebrochen: Der Autor streckte einen jungen Widder, der zum Einwachser tendierte (Bild: Stefan Büttner)


Der letzte Gang


Die letzte Morgenpirsch führt uns erneut die bekannte Route entlang. Da mein, wenn auch kleiner Widder, liegt, beschwere ich mich nicht, sondern ergebe mich meinem Schicksal. Ich stolpere wieder über die gleichen Bäume und rutsche an den bekannten Stellen auf dem Geröll aus. Was soll’s? Tatsächlich kommen wir zunächst an einen Widder, den wir lange beobachten können. Doch aufgrund seines geringen Alters lassen wir ihn ziehen. Der nimmt auf knapp 60 Meter vor uns in Ruhe Eicheln auf. Wir genießen den Anblick des vertrauten Stückes.
Kurze Zeit später wird es spannend. Mein Jagdführer verharrt, und ich entdecke unmittelbar einen stattlichen Muffelwidder – etwa 50 Meter vor uns. Nach Erteilen der Freigabe banne ich ihn mit einem Schuss an den Platz. Doch was ist das? Mein Jagdführer ruft hektisch, „Krank, krank! Schnell schießen!“, womit wir wieder am Anfang der Geschichte sind.
Völlig überwältigt und fassungslos über die soeben erlebte Situation muss ich mich erst einmal sammeln. Das Problem der nächsten Minuten beruht auf dem Fakt, dass nur mir diese einmalige Doublette bewusst ist, mein Jagdführer aber noch nichts davon ahnt! Ich versuche, meinem fassungslosen Begleiter klarzumachen, dass wir soeben zwei Widder gestreckt haben. Ungläubig schüttelt er immer wieder den Kopf. Erst auf meinen deutlichen Hinweis, dass mein erster Schuss bereits ein Stück zur Strecke brachte, schaut er mich ungläubig an. Als ich ihm den zunächst erlegten Widder zeige, stammelt mein Gegenüber nur noch etwas von „Katastrophe“. Dann flucht er gewaltig in seiner Muttersprache, die ich leider oder vielleicht glücklicherweise nicht verstehe. Bevor die Situation eskaliert, mache ich ihm klar, dass alles in Ordnung sei: Weder ihm, noch mir sei etwas vorzuwerfen. Und wir sollten uns über den Ausgang der Jagd einfach nur freuen.


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Das kommt nicht alle Tage vor: Der Autor mit seiner Muffelwidder-Doublette (Bild: Stefan Büttner)


Was war geschehen?


Wie sich herausstellt, haben wir beide einen Widder gesehen, nur eben jeder einen anderen. Durch Bäume ist das jeweils andere Stück für den Guide bzw. mich verdeckt gewesen. Mein Jagdführer ging fest davon aus, dass ich mit dem ersten Schuss den von ihm freigegebenen Widder vorbei- oder krankgeschossen hätte und forderte mich deshalb energisch zum Nachschießen auf. So schoss ich ungeplant eine einmalige Doublette: zwei brave Widder!
Es stellt sich zudem heraus, dass beim zweiten, deutlich älteren Widder alle vier Schalen ausgewachsen und zum Teil blutig sind. Dies ist allerdings auch meinem Begleiter zum Zeitpunkt der Freigabe nicht aufgefallen. Insofern hat sich jedoch meine Vermutung bestätigt, dass mit diesem Widder etwas nicht stimmte. Die Erlösung des leidenden Stückes macht mich besonders glücklich. Und langsam kehrt auch bei meinem Begleiter die Gesichtsfarbe zurück. Nun ist er ebefalls begeistert über unseren einmaligen, wenn auch unbeabsichtigten Jagderfolg. Nach einem kräftigen Schluck aus seinem Flachmann sind wir wieder Freunde.
Zwischen den zwei Schüssen lagen nur wenige Sekunden. Und ein Doppelerfolg in diesem Tempo ist dort noch nie vorgekommen, was mir bei der späteren Vermessung der Trophäen der ebenfalls deutlich überraschte Jagdleiter immer wieder versichert.
Wir ziehen das Wild gut 100 Meter einen steilen Hang hinauf bis zum nächsten Weg. Wie bereits bei der Pirsch bin ich beeindruckt von der Vitalität meines Gegenübers – zähe Burschen, diese Muffeljäger! Als mein Begleiter sich auf den langen Weg macht, um das Auto zu holen, habe ich Zeit, um bei meiner Beute zu verweilen und die Jagd Revue passieren zu lassen. Es waren schöne und spannende Stunden in einer zauberhaften Umgebung. Märchenhaft wirkt dieser Wald: Denn die morgendlichen Nebel lassen allerhand Fabelwesen entstehen. Der Griff in die Schnecken holt mich jedoch zurück in die Realität ...
Leonhard bedauert es an diesem Morgen sehr, nicht mitgekommen zu sein, freut sich aber herzlich mit. Den letzten Ausgang lassen wir ausfallen und schauen uns die abwechslungsreiche Region ausgiebig an. So sind aus einem geplanten Muffelwidder derer drei geworden und das in einem Tempo, das mich heute noch ungläubig auf die Trophäen blicken lässt.
 

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Bei dem zweiten und älteren Widder sind alle vier Schalen ausgewachsen und teilweise blutig (Bild: Stefan Büttner)
 

Widderjagd in Böhmen

Jagdart: Einzeljagd
Jagdzeit: 1. Juli bis 31. März
Zeitraum: ab Mitte September bis Ende März; Brunft Ende Oktober
Arrangement: 4 Reisetage, 3 Übernachtungen, 5 Ansitze/Pirschgänge; nur auf reife Muffelwidder
Kosten: 787 Euro, zuzüglich 115 Euro Buchungsgebühr sowie Abschussgebühren nach Preisliste
Nicht im Preis enthalten: Jagdlizenz, Anreise, Fahrtkosten im Revier (pauschal 100 Euro oder 45 Cent/km), Leihwaffe, Trophäenvorbereitung (Muffelschädel weiß 75 Euro), Trophäenversand, Trinkgelder, Übernachtung und sonstige Kosten
Abschussgebühren:
CIC-Punkte Euro Euro/je weiterem CIC-Punkt
bis 169,9 990
170 bis 174,9 1.200
175 bis 179,9 1.520
180 bis 184,9 1.650
ab 185 1.890 98
ab 195 2.870 102
ab 205 3.890 120
Weitere Infos: Forst Eibenstein Travel Agency; Homepage: www.forst-eibenstein.eu; E-Mail: urlaub@forst-eibenstein.de; Telefon: 0049 (0) 9402 7888-1310, Erreichbarkeit: Montag bis Samstag 8 bis 18 Uhr (Service-­Center)

Autor: Stefan Büttner