Ansprechen Reifer Damhirsche

Reif oder zu Jung?

Ein Praktiker durch und durch erläutert, anhand welcher Merkmale sich der reife Damhirsch ansprechen lässt.

Reif oder zu Jung?

Bild: Michael Breuer

Als Kreisjägermeister hatte und habe ich seit 2004 die Möglichkeit, im Kreis Plön (Schleswig-Holstein), aber auch in weiteren Regionen Deutschlands, über 4.000 Damhirschtrophäen zu begutachten. Dabei lernte ich, dass sich das Ansprechen von Damhirschen nicht nur auf das Geweih beschränkt, sondern auch Verhaltens- und Körpermerkmale als Ansprechkriterien einschließen sollte.
Das rechte Bejagen von Damhirschen setzt sehr viel Erfahrung voraus. Wenn die erforderliche Expertise nicht vorhanden ist, besteht ein hohes Risiko, dass zu junge Hirsche
erlegt werden. Gerade bei den fünf- bis siebenjährigen besteht die Gefahr, dass ein kapitales Geweih auf einen reifen Hirsch schließen lässt und zum voreiligen Erlegen eines Zukunftshirsches führt. Reif ist ein Damhirsch aber erst mit acht, neun Jahren. Auch bei diesen Hirschen ist das Ansprechen nicht einfach, weil deren Altersmerkmale mitunter nur ansatzweise ausgeprägt sind. Damit sind wir bei der Kernfrage: Woran erkennt man den reifen Damhirsch?


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Keine alten Schaufler. Denn die kennen keinen Parallelgang! (Bild: Stefan Meyers)


Verhaltensmerkmale


Weniger erfahrene Damwildjäger machen meist den Fehler, dass sie beim Ansprechen der Hirsche ausschließlich auf das Geweih achten. Hat man einen alten, also reifen Hirsch frei, sollte zunächst unbeachtet bleiben, ob der Hirsch kapital ist. Als erstes ist zu prüfen, ob er alt genug ist. Dazu bieten sich zunächst die Verhaltensmerkmale an. Denn um sie auszumachen, reichen mitunter nur wenige Augenblicke. Kurz gesagt, gilt: Wenn ein reifer Damhirsch erlegt werden soll und bereits auf größere Entfernung erkennbar ist, dass ein Hirsch kämpft, am Parallelgang teilnimmt oder Platzhirsch ist, kann auf ein weiteres Ansprechen verzichtet werden. Das Berücksichtigen dieser Verhaltensmerkmale vor der Frage, ob oder wie kapital das Geweih ist, ist dem Damwildjäger eine wertvolle Hilfe: Denn die meist knappe Zeit für Pirsch oder Ansitz kann besser genutzt werden, indem ein anderer Weg oder ein Ansitzort gewählt wird.


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Alter Hirsch mit Rammskopf und hochgewachsenen Mittelsprossen (Bild: Jan-Wilhelm Hammerschmidt)


Körpermerkmale


Auch sie sind in relativ kurzer Zeit anzusprechen, während das Geweih in seiner vielfältigen Ausprägung wesentlich mehr Zeit für ein sicheres Urteil beansprucht. Der mittelalte Hirsch ist stets daran erkennbar, dass er einen rechteckigen Wildkörper und ein spitzes Haupt hat.
Den alten Hirsch zeichnen folgende Körpermerkmale aus:
• Das Haupt erscheint von der Seite stumpf und von vorne breit.
• Von der Seite betrachtet ist die Stirn des alten Damhirsches häufig nach vorne gewölbt. Er hat den sogenannten Rammskopf.
• Alte Hirsche haben meist einen mürrischen Gesichtsausdruck, während das Gesicht eines vier- bis fünfjährigen Hirsches jugendlich wirkt.
• Der Träger ist massig und wird eher waagerecht getragen.
• Vorschlag und Drosselkopf sind stark ausgeprägt.
• Beim alten Damhirsch hat sich die Körpermasse deutlich nach vorne ver- lagert. Der Schwerpunkt des Wildkörpers befindet sich über den Vorderläufen. Damit einher geht der Widerrist.
Wichtig: Nicht jeder alte, reife Damhirsch verfügt über alle genannten Körpermerkmale. So sucht man mitunter vergebens den Rammskopf. Ebenso kommt es immer wieder vor, dass bei überalterten Damhirschen, also ab etwa zwölf Jahren, der Träger wieder dünner und das richtige Ansprechen dadurch erschwert wird. Für den weniger erfahrenen Jäger ist es nicht leicht, wenn er bei einem Damhirsch sowohl „alte“ als auch „junge“ Altersmerkmale am Wildkörper feststellt. Diese Widersprüche kommen jedoch vor, auch bei den Geweihmerk-malen.
Und noch etwas ist wichtig: Die genannten Körpermerkmale können nur in den Monaten September bis März zur Altersbestimmung herangezogen werden. Von April bis August ist das unmöglich, weil das Damwild im Januar und Februar in den „Energiesparmodus“ übergeht und sich zur Äsungsaufnahme auf Raps- sowie Weizenflächen bewegt. Die Folge ist, dass sich die Muskeln des Trägers zurückbilden und der Umfang des Trägers abnimmt.
Im Juli und August ist der Hirsch in der Feistzeit. Sein Körpergewicht nimmt um 30 Prozent oder mehr zu. In dieser Zeit haben alle Damhirsche einen sehr dünnen Träger, ein spitzes Haupt und einen feisten Wildkörper, aber keine Körpermerkmale, die Aufschluss über das Alter geben können.


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Typisch für den alten Schaufler: der mürrische Gesichtsausdruck (Bild: Jan-Wilhelm Hammerschmidt)


Geweihmerkmale


Das sichere Ansprechen von Damhirschen anhand des Geweihs ist auch für erfahrene Damwildjäger immer wieder eine Herausforderung. Deren Geweih ist mit fünf Jahren erstmals voll ausgebildet. Die breiteste Stelle der Schaufeln befindet sich dann in der Mitte der Schaufel und wandert in den folgenden Jahren nach oben. Mit neun, zehn Jahren befindet sich die breiteste Stelle an der Oberseite der Schaufeln. Im Jahr darauf fallen die Schaufeln auf ihrer Rückseite keilförmig ab. Gleichzeitig beginnen sie, deutlich zurückzusetzen. Für den weniger erfahrenen Jäger ist es schwierig zu erkennen, ob die breiteste Stelle noch auf dem Weg nach oben ist oder ob die Schaufel bereits keilförmig abfällt.
Alte Damhirsche haben sehr kurze Rosenstöcke und Rosen, die flach auf dem Haupt sitzen. Die Rosen scheinen in der Decke des Hauptes zu verschwinden, während sie sich bei mittelalten Hirschen deutlich oberhalb der Decke befinden. Bei überalterten Hirschen sind die Rosen mit-unter zusammengewachsen (Helmbildung). Beide Merkmale sind auf Entfernungen über 50 Metern jedoch kaum zu erkennen.
Kurze oder fehlende Aug- und Mittelsprossen sind ebenfalls ein Hinweis auf den alten Hirsch. Fehlt eine Aug- oder Mittelsprosse gänzlich, ist das – unabhängig vom Alter – ein Abschussgrund. Häufiger zu beobachten ist die einseitig fehlende Mittelsprosse. Meist ist das ein Zeichen dafür, dass das Geweih zurücksetzt und der Hirsch zehn Jahre oder älter ist.
Der Abstand der Mittelsprosse zur Schaufel ist auch ein verlässliches Merkmal, welches bei normal entwickelten Geweihen fast immer zur Altersbestimmung herangezogen werden kann: Ist die Mittelsprosse noch zehn bis zwölf Zentimeter oder mehr von der Unterseite der Schaufel entfernt, ist dieser Hirsch erst sechsjährig oder jünger. Ist die Mittelsprosse „hochgewandert“ und nur noch fünf bis sechs Zentimeter von der Schaufel entfernt, wird das Alter zwar höher liegen, aber möglicherweise grenzwertig sein. Befindet sich die Mittelsprosse hingegen unmittelbar an der Unterseite der Schaufel oder ist sie an deren Vorderseite nach oben „gewandert“, so wird es sich um einen reifen Hirsch von wenigstens zehn Jahren handeln.
Ein Geweihmerkmal, welches auch häufig bei älteren Hirschen zu finden ist, sind die sogenannten Leisten. Diese kommen in unterschiedlichen Formen vor:
• Am häufigsten zu beobachten sind kurze, mitunter auch breitere Enden oder Auswüchse an der Innenseite der Schaufel, die nach innen ragen.
• Eine weitere Variante sind rillenartige Vertiefungen, die sich an der Vorderseite der Schaufeln befinden. Sie sind nur wenige Millimeter tief und breit.
Alle Varianten der Leistenbildung haben gemeinsam, dass sie zwar ein Hinweis, aber keine Garantie für einen älteren Recken sind.
Eissprossen kommen ebenfalls eher bei älteren Damhirschen vor. Aber auch sie sind keine Garantie für einen alten Hirsch.
Ein verlässliches Geweihmerkmal für den reifen Hirsch von zehn Jahren oder mehr ist die Form der Schaufel: Bildet sie ein Dreieck oder hat sie eine v-förmige Unterseite, bei der die Enden wie die Finger einer Hand nach oben zeigen, hat man mit großer Wahrscheinlichkeit einen wirklich reifen Damhirsch vor sich. Meistens gehen diese Altersmerkmale mit weiteren einher, wie z.B. fehlender Mittelsprosse, Körperschwerpunkt vorn und ausgeprägtem Drosselnopf. Bei einer solchen Kombination von Ansprechmerkmalen kann man eigentlich keinen Fehler machen. Nur, solch reifen Damhirschen begegnet man nicht oft!
 

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13- bis 14-jähriger Hirsch mit v-förmiger Unterseite der Schaufeln sowie nach oben zeigenden Enden (Bild: Jan-Wilhelm Hammerschmidt)

Autor: Jan-Wilhelm Hammerschmidt