30.06.2023
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20 Min

Rumänien

Karpaten-Traum

Jagd ist Spannung, aber auch Emotion. Selten genug öffnen sich Jäger in ihren Erzählungen. Der Autor dieses Artikels tut es. Er erbeutet seinen Lebenshirsch!

Karpaten-Traum

Bild: Ralf Bonnekessen

Mein Puls kommt langsam wieder runter. Ungläubig sehe ich mich um. Meine Begleiter sehen mich an, lächeln mitfühlend. Die Hand des Jagdführers Dan liegt schwer auf meiner Schulter. Ich spüre sein Wohlwollen. Wenn Freude Licht bedeutet, dann ist jetzt alles hell, strahlt von innen. Ich wohl auch. Meine Finger liegen auf der Krone, dem linken Ende meines Hirsches. Meines Hirsches. Ungläubig ertasten sie die Knochen. Was gerade noch wild und unerreichbar war, liegt nun vor mir. Gezähmt, gebändigt, erlegt. Ich habe ihn, den König. Den König der Könige. Etwas in mir ist euphorisch, etwas anderes ist mit dem Hirsch verendet. Mich umfängt nicht Traurigkeit, aber die Gewissheit, dass ein langer Weg sein Ende gefunden hat.
Meine Finger zittern, tasten nach dem Äser. Ich ziehe eine Grandel aus dem Oberkiefer. Sie hing nur noch an ein paar Hautfetzen. Ich betrachte sie in der September-Sonne. Hier oben, am höchsten Punkt weit und breit. Ein Speichelfaden zieht sich von der Grandel zum Äser. Er glitzert in der Sonne wie ein Spinnweben. Der Griff in den Kiefer: keine richtigen Zähne mehr, nurmehr eine fühlbare Kauleiste. Die Schneidezähne hängen nur noch lose im Unterkiefer. Was für ein Urian! Wie klein ich mich plötzlich neben dem König der Karpaten fühle. Alles strahlt. Ich durch ihn.

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Die Karpaten haben mitunter Ähnlichkeit mit den Alpen bzw. dem Alpenvorland. Immerhin reichen sie bis zu 2.600 Meter Seehöhe (Bild: Ralf Bonnekessen)
Beim Renovieren sagt man gerne, bevor es schön werden kann, muss es erst hässlich werden. So war es auch bei mir. Deswegen erzähle ich die Geschichte von vorn: Unsere Gruppe besteht aus den Jägern Sven, Rouven, Paul und mir. Paul begleitet mich mit der Kamera. Auch wenn er nur halb so alt ist wie ich, möchte ich ihn als Freund bezeichnen. Paul ist einer, den jeder haben sollte. Wäre ein schöner Slogan: „Einen Paul sollte jeder haben!“ Einer von diesen Menschen, die auf grundsympathische Weise nicht mehr vorgeben als sie sind. Eher umgekehrt. Paul hat ein tolles Auge für Bilder. Deswegen habe ich ihn schon vor Jahren gefragt, ob er mich bei meiner Karpaten-Reise begleiten würde. Also bei meiner zweiten Karpaten-Reise. 2018 war ich bereits mit JWW-Redakteur Hans Jörg Nagel hier. Er schoss damals seinen Karpaten-Hirsch hier im Forstamt Borca. Den Film „Karpatenhirsch“ finden sie natürlich auf www.PareyGo.de.
Ich habe nie einen Hirsch so „schön“ fallen sehen. Jäger werden wissen, was ich meine. Es ist in keiner Weise despektierlich oder gar anmaßend gemeint. Dieser Hirsch fiel nach dem Schuss auf den Stich wie ein gigantischer Baum zu Boden. Ein unglaubliches Bild unter Wetterbedingungen, die man nicht besser hätte malen können. Aber das sehen Sie sich besser selbst an.
Ich habe meinen Hirsch damals nicht bekommen, und Jagdvermittler Egon Merle war so freundlich, mir eine weitere Chance in den Karpaten zu geben. Es hat ein bisschen gedauert, aber im September 2022 war es soweit:

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Hübsches Haus in rumänischer Wildnis, wo sich weniger Fuchs und Has‘ als Bär und Luchs gute Nacht sagen (Bild: Ralf Bonnekessen)
Ich fliege von Düsseldorf nach Wien und treffe dort die anderen Jäger und auch Thomas Merle. Egons Sohn begleitet uns als Freund, Jagdführer sowie Dolmetscher. Gemeinsam fliegen wir von Wien nach Iasi, gesprochen „Jasch“.
So wie Rumänien sich heute anfühlt, so stelle ich mir Deutschland in den 1950er- oder 60er-Jahren vor. Straßen sind baufällig, Pferdefuhrwerke begegnen einem überall. Vieh läuft mitten auf der Straße. Kein Hirte, der sie treibt oder führt. Sie wissen von allein, wo sie hin müssen. Auf dem Land sieht alles nach Mühe aus. Wenige oder gar keine Maschinen arbeiten hier. Stattdessen Handarbeit, bäuerliche, körperlich schwere Arbeit. Etwas, das wir so nicht mehr kennen. Kein Manufactum oder Landlust, schlichtweg Land.
Die Einfachheit berührt mich tief. Was der Städter in Findungsseminaren oder auf der Couch teurer Therapeuten zurückzuerobern sucht, hat man hier nie verloren. Nicht wissentlich. Es ist das harte Leben, das einfache Leben, das einem hier überall begegnet. Natürlich nur hier auf dem Land. Die Städte sind wie alle Städte. Und vielleicht schwingt hier auch viel Romantik mit. Aber gerade ich als Jäger suche ja immer wieder das Einfache. Die schönsten Jagden sind eine Waffe, ein Messer und ich. Mehr nicht. Was für eine herrliche Vorstellung. Das kann man hier haben, in Rumänien, wenn man will. Ansonsten bekommt der Jagdgast natürlich alles, was er möchte. Wir wohnen in einem Gästehaus des staatlichen Forstunternehmens an einem Forellenhof. Das Geräusch des sprudelnden Wassers begleitet uns während unserer Woche hier in Borca.

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Thomas Merle erweist sich nicht nur als treuer Begleiter, sondern auch als zuverlässiger Pirschstock-Träger (Bild: Ralf Bonnekessen)
Jagt man in den Karpaten, hat man natürlich die alten Jagderzählungen der wilden, urtümlichen Wälder im Kopf. So ist es nicht mehr. Aber für mich ist es noch wild genug. Die letzte Zivilisation ist unser Gästehaus. Von dort führen Forstwege in die Berge, Waldwege, bestenfalls Schotterwege. Daraus werden Rückewege für schweres Gerät. Hier lassen wir irgendwann den Wagen stehen. Ab da geht es zu Fuß. Den einfachen Weg gibt es hier nicht. Man kann Glück haben, indem Hirsch und Erlebnis nach ein paar hundert Höhenmetern hinter einem liegen. Aber wer will das schon?

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Sehnsüchtiger Blick in die Ferne. Was hat der Hirschjäger wohl im Blick? Und wovon träumt er? (Bild: Ralf Bonnekessen)

Das Ursprüngliche suchen
 
Der Karpatenjäger will laufen, arbeiten, schwitzen. Die würzige Luft der Fichten soll tief in die Städterlunge eindringen. Jede Nuance der klaren Bergluft soll den Brustkorb anschwellen lassen. Soll mich gesunden lassen. Ich will Ballast hier lassen. All die alltäglichen Kleinigkeiten sollen bei jedem Schritt im Waldboden versickern. Ich will ein Teil dieser Wälder sein. Ich will es fühlen, das Wilde, das Ursprüngliche.
Die Hirsche hier kennen keinen Wildacker, keinen Rückzugsort. Hier herrschen andere Gesetze. Wer den harten Winter überlebt, sieht sich Luchs, Wolf und Bär gegenüber. Eine kleine Verletzung, eine kleine Beeinträchtigung der Physis entscheiden zwischen Wohl und Wehe. Und das Tag für Tag. Das Gesetz des Stärkeren ist unbarmherzig. Jeder gegen jeden. Keine Allianzen, kein Pardon, die kleinste Schwäche bedeutet den sicheren Tod. In dieser Umgebung könnte man tagelang umherirren, ohne auch nur ein Haar gesehen zu haben.
Aber eines wird dem König der Wälder dann möglicherweise zum Verhängnis: Sein Ruf. Im goldenen Herbst verrät er ihn, seinen Standort. Ist die Brunft still, bleibt die Büchse kalt. Man sieht nichts, wenn man nichts hört. Nur der weithin hallende Brunftlaut verrät den Hirsch. Und so steigen wir tapfer bergauf. Michai, unser Jagdführer, vorneweg, gefolgt von Thomas, mir und Kameramann Paul.

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Ein Karpatenhirsch kommt in Anblick. Ist er reif genug? So schnell eine Chance auftaucht, ist sie auch wieder verschwunden (Bild: Ralf Bonnekessen)

Es ist noch dunkel, aber die ersten Rufe der Roten haben wir gehört. Vier Hirsche hören wir an diesem Morgen melden. Eine Wonne, in diesem Konzert aufzusteigen. Langsam, Schritt für Schritt, pirschen wir bis zum Ende einer Rückegasse. Danach geht es über in einen schmalen Pfad, mehr ein Wechsel. Langsam dämmert es, und wir erahnen unsere Umgebung. An einer kleinen Talkante pirschen wir durch den Hochwald, den Blick immer in das lichte Tal hinein. Vielleicht 300 Meter können wir einsehen.

Erster Kontakt
 
Dann stockt Michai. Er hat ein Alttier entdeckt. Das Kalb steht nur wenige Meter entfernt. Aber kein Hirsch weit und breit. Wir hören auch keinen mehr. Ich hätte gewartet, aber Michai zieht es bergauf. Er hat einen Plan, so scheint es. Als wir nach einer guten Stunde das kleine Tal hinter uns gelassen haben, hören wir ihn. Ein mächtiger Brunftschrei hallt uns entgegen. Michai packt das Jagdfieber. Er drängt uns weiter. Als wir in der Nähe des Brunftrufes sind, versichert er sich, dass ich geladen habe. Er haucht mir ins Ohr: „schnell gucken, schnell schießen.“ Bislang haben wir aber noch gar nichts gesehen.
Wir pirschen weiter, 50 Meter näher. Wieder: „schnell gucken, schnell schießen!“ Meine Anspannung steigt. Wir sehen nichts, also näher. Wieder 50 Meter. Jedes Mal lege ich die Mauser auf‘s Vierbein und spanne sie. Mit jedem Mal wächst auch meine innere Anspannung. Ich habe die Erinnerung im Kopf, hier auch eine Woche ohne Schuss­chance verbracht zu haben.
Wir stehen im Fichtenaltholz und haben die Kuppe überwunden. Gehen wieder berg­ab. Die Schreie des Hirsches lassen mich erzittern. Die Anspannung ist unserer kleinen Gruppe anzumerken. Dann hat Thomas den Hirsch ausgemacht. „Guter Hirsch“, sagt er. „Starker Hirsch.“ Michai wie gewohnt: „schnell gucken, schnell schießen.“ Ich habe ihn noch nicht einmal gesehen. Aber ich bin wild entschlossen. Mir soll es nicht so gehen, wie vor Jahren.

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In dieser Wildnis in die Ferne zu glasen, bringt meist nicht viel. Man muss dem Ruf des Hirsches folgen (Bild: Ralf Bonnekessen)
In einer Lücke entdecke ich einen Geweihten. Ein junger Beihirsch. Meine Nerven sind gespannt wie Stahlseile. Dann ein Stück Kahlwild. Es steht zwischen den Fichtenstämmen. Die größte Lücke, die ich ausmachen kann. „Schnell gucken, schnell schießen.“ Ich raune zu Paul: „Wenn er in diese Lücke kommt, schieße ich.“ Und er kommt. Vielleicht eine Sekunde später ist er da, aber weit hinter dem Alttier. Ein quer liegender Fichtenstamm und seine Reiser verdecken den Hirsch. Ein Stück vom oberen Blatt ist frei. Jetzt oder nie, denke ich. Ich lasse meiner Anspannung den Raum, der ihr nicht zusteht und reiße am Abzug, weil ich meine, dass ich muss. Doch gar nichts hätte ich gemusst!
Der Schuss bricht, der Hirsch steht. Ich repetiere die nächste 8 x 57 ins Lager. Erst jetzt springt er ab. Das Kahlwild hatte sich in Bewegung gesetzt, der Hirsch hinterher. Völlig gesund. Gott sei Dank! Alle sehen mich an. Ich weiß, was passiert ist, will es aber noch nicht wahrhaben. Ich habe eine Chance genutzt, die gar keine war. Ich habe das Vierbein nur als Zweibein benutzt. Habe in einer Lücke geschossen, in der Paul noch gar keine Aufnahme machen konnte. Und das passiert ausgerechnet mir? Als Kamera­mann weiß ich doch genau, welche Bilder wir brauchen. Welche Chancen die Kamera einfangen kann und welche nicht. Ich habe versagt, auf ganzer Linie. Ich merke, wie mir die Farbe aus dem Gesicht schwindet, als Thomas mich ansieht. Wir ringen beide um Fassung, nur von völlig verschiedenen Seiten. Es ist genau das passiert, was eben nicht passieren durfte.

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Die Mauser des Autors samt Fernglas und Pirschstock. Viel mehr braucht der Hirsch­jäger nicht! (Bild: Ralf Bonnekessen)
Natürlich haben wir den Anschuss kon­trolliert, aber auch die Kamera zeigt, dass ich den Schuss völlig verrissen habe. Ich habe nicht geschossen, sondern lediglich der Anspannung Luft gemacht. Ich bin schlicht am Boden zerstört. Die Waffe wiegt schwer auf meiner Schulter. Bin ich bei anderen immer verständnisvoll, wenn ein Fehler passiert, bei mir selbst fühlt es sich erbarmungslos an. Wie konnte ich nur?
Nachdem wir am Anschuss waren und Michai auch noch ein ganzes Stück weiter gesucht hat, treten wir den Rückzug an. Ich trotte den anderen hinterher. Jeder denkt für sich, geht für sich, ist für sich. Die Gruppe ist in denkende Individuen zerfallen.
Ich brauche zwei Tage, um mit mir im Reinen zu sein. Krönchen richten und aufstehen. Das sagt sich so leicht. Ich tue mich schwer damit. Nach einiger Zeit im Wald − Pirschen und Laufen hilft tatsächlich beim denken − kann ich mir selbst verzeihen. Ich bin wieder bei mir. Denke nicht mehr, sondern handle, wie ich es für richtig halte.

Nur noch sichere Schüsse!
 
Der Form halber hab ich noch einen Probeschuss mit meiner Waffe gemacht. Und natürlich lag es nicht an ihr, sondern an mir. Am Gewehr liegt es selten.

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Um so einen Urian zu bergen, benötigt man viel Manneskraft. Erst recht, wenn es − wie hier − bergauf geht! (Bild: Ralf Bonnekessen)

Mittlerweile hat Mitjäger Sven seinen Hirsch mit Jagdführer Dan erlegt. Einen reifen Karpatenhirsch, unglaublich stark im Wildbret. Ich kann mich nicht erinnern, einen solch‘ starken Träger bei einem Hirsch je gesehen zu haben.
Michai hat sich bei unserem ersten Pirschgang verletzt, auch das noch! Deswegen pirschen wir mit Stephanel. Aber schließlich ergibt es sich, dass auch wir mit Dan gehen. Ich kenne ihn noch von damals. Er hat Hans Jörg geführt. Und wir waren einige Male draußen, um meinen Hirsch zu finden. Jetzt also wieder. Es ist ein herrlicher Morgen. Wir hören einen Hirsch vielleicht 200 Meter vor uns. Wir sind nahe der höchsten Stelle des Reviers. Pirschen einen alten Rückeweg entlang. Haben wir 100 Meter gut gemacht, hört sich der Hirsch immer noch gleich weit weg an. Wir laufen sein Tempo. Es ist wie verhext. Sind wir zu laut? Ist es der Wind? Nichts von alldem. Es ist einfach wie es ist. Nicht verzagen. Einfach weiter, nicht zweifeln, immer weiter.

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Ein sichtlich stolzer und bewegter Jäger hinter seiner majestätischen sowie reifen Karpaten-Beute (Bild: Ralf Bonnekessen)
Schließlich geht es den Berg wieder hinauf. Als wir oben sind, dreht der Hirsch ab und ist weg. Stille. Er muss was mitbekommen haben. Für mich ist die Pirsch vorbei. Ich bemerke den Schlepplift, den sie hier installiert haben. Was für ein Anachronismus in dieser rauen Natur. Ein Skilift! Dan will weiter. Wir laufen ein U. Jetzt aber oberhalb. Der Wind sitzt mir im Nacken und drückt runter. Auch das noch. Dann hören wir ein kurzes „Oh“, wie ein Husten, noch einmal: „Oh“. Ich sehe die Anspannung in Dans Gesicht.
Thomas versucht, das Vierbein aufzustellen. Wir pirschen durch kniehohes Heidekraut. Er muss den Stock hin und her bewegen. Zu viel Bewegung, denke ich noch. Wieder ein „Oh“. Dan will weiter, glaubt ihn zu spüren. 30 Meter schaffen wir vielleicht noch. Dann bleibt er stehen, blickt angestrengt an den jungen Fichten hinunter. Thomas stellt den Stock erneut, ich lege die Waffe auf.
Dann entdecke ich ein einzelnes Alttier. Es zieht in eine kleine Fichtenlücke, vielleicht 80 Schritt entfernt. Völlig unbekümmert. Es bekommt keinen Wind, denke ich. Ich richte die Waffe auf diese Lücke aus. Das Alttier hält es aus, zieht langsam weiter, verschwindet äsend links hinter den Fichten. Ich warte, die Mauser ist längst gespannt, der Finger am Abzug. In die Lücke schiebt sich der Urian. Hoch ragen seine Stangen nach oben. Ich habe nur den Blick für den Wildkörper. Ein Fichtenast ragt über das Blatt. Der Hirsch zieht in die Lücke und sichert sofort zu uns nach oben. Er hält inne, verhofft, scheint zu rätseln, was er eräugt.

Der Traum geht in Erfüllung
 
Von hinten höre ich Thomas: „passt, schießen!“ Ich spüre den kalten Abzug an der Fingerkuppe. Das Absehen ruht auf der Blattschaufel. Langsam erhöhe ich den Druck. Der Schuss durchbricht die Stille der Karpatenhänge. Der Hirsch streckt den linken Lauf und flüchtet bergab. „Schießen“, ruft Thomas. Keiner will eine Nachsuche in den Karpaten. Als der Hirsch unten nach rechts dreht, fasst ihn meine zweite Kugel im Kreuz, und er fällt. Das hohe Gras verschlingt den gewaltigen Wildkörper.
Dieses Mal bin ich mir meiner Sache sicher. Was für ein Gefühl! Die Anspannung weicht dem wohligen Gefühl der Gewissheit: Alles war richtig. Alles ist gut. Wir liegen uns in den Armen, können es kaum glauben. Alle Zweifel, alle Vorbehalte, alles ist weg. Alles ist nun gut.
Als wir uns dem Hirsch nähern, ragt eine unglaubliche Krone aus der hohen Vegetation. Der Recke ist gefallen, hat sich verstrickt im hohen Gras. Die Krone zeigt in meine Richtung. Erst jetzt werde ich der Ausmaße gewahr. Dieser Hirsch ist mein letzter Hirsch. Er überragt alles. Er ist in diesem Moment alles für mich. Er ist der Wendepunkt in meinem Jägerleben. Er ist ein kleiner Tod, eine erfüllte Sehnsucht, die übererfüllt wurde. Ich bin voll von diesem Erlebnis. Ich bin trunken vor Glück und weiß nicht, wohin mit meinen Gefühlen.

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(Bild: )
Meine Hand ruht auf der Krone, umfasst sie, nestelt an den Stangen herum. Ich kann es nicht fassen. Der Hirsch und die Jagd auf ihn steht für so viel mehr. Ich durfte der Schlusspunkt sein in seinem Leben. Jenseits der 14 Jahre schätzen ihn die, die es können. Er hat sein Leben wahrlich gelebt, hat am Ende seines Lebens dieses unglaubliche Geweih geschoben. Vielleicht das stärkste seines Lebens, auf jeden Fall das letzte. Unsere Leben sind jetzt miteinander verwirkt. Verbunden. Ich habe ein Stück von ihm, aber er hat auch ein Stück von mir. Das wird in den Karpaten bleiben. Ein Stück von mir wird hier in den Karpaten bleiben. Für immer. Karpatenhirsch
Wer einen Karpatenhirsch erlegen möchte, hat es nicht nur auf die Trophäe abgesehen. Vielmehr steht das Erlebnis, die raue Natur und die Herausforderung im Vordergrund, sich diesen Königen der rumänischen Wälder auf Schussdistanz zu nähern. In dieser Umgebung ist der Jäger körperlich und geistig gefordert. Es sind aber auch seine weidmännischen Fähigkeiten gefragt.

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Ein Hirsch, der den Namen Hirsch verdient! Selbstverständlich wurde er direkt vor Ort abgekocht (Bild: Ralf Bonnekessen)

Spezialisten in Sachen Karpaten-Hirsch sind Egon Merle und sein Sohn Thomas. Sie haben mit ihrem Jagdreiseunternehmen Merle Jagdreisen (www.merlejagdreisen.de) zahlreiche gute Reviere unter Vertrag. Der Karaptenhirsch ist nicht unbedingt endenreich, zeichet sich dafür aber durch Stangenlänge und Gewicht aus. Für Kenner das Sinnbild einer guten Hirsch-Trophäe! PD

Autor: Ralf Bonnekessen