14.11.2024
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8 Min

WÄLDERDACKEL

Hund der 1000 Höfe

Im Schwarzwald gibt es einen Hund, der wie eine Mischung aus Bracke und Dackel aussieht. Ein Verein kämpft um die Akzeptanz dieses regionalen Vierläufers. Tobias Thimm hat sich auf die Spur des Bauernjägerhundes begeben.

Hund der 1000 Höfe

Bild: Tobias Thimm

„Jiff, Jiff, Jiff,“ das Hundegeläut kommt näher. Eine Ricke erscheint und macht ein paar Sätze in den Blaubeeren ne- ben dem Drückjagdbock. Sie verhofft. Ein Kitz folgt und dreht nochmal das Haupt in Richtung des vierläufigen Ver- folgers. Beide Stücke wirken beunruhigt, aber nicht wirklich nervös. Der Schuss bannt das Kitz an den Platz. Repetieren. Die Ricke versucht noch die Herkunft des Knalls zu orten. Der zweite Schuss bricht, und sie macht eine kurze Totflucht. Dublette. Wenig später erscheint laut ein hirschroter kurzläufiger Jagdhund – eine Dachsbracke? Kurzes Bewinden des Stücks, dann arbeitet er direkt weiter.

Später am Streckenplatz wimmelt es von Schützen mit den kleinen Hunden, die die Einheimischen „Wälderdackel“ nennen. Thomas Rist liebt diese Vierläufer. Was die einen als Promenadenmischung bezeichnen würden, versucht er, mit einer gezielten Zucht in Form zu bringen und zu erhalten. Dass diese Hunde auf den Schwarzwälder Bewegungsjagden heute so häufig zu sehen sind, ist vor allem seinem Engagement zu verdanken.


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Ein Wälder­dackelführer um 1940. (Bild: Wälderdackel e. V.)

Als der Kenzinger mit seinen Nachforschungen zu den lokalen Vierläufern begann, stellte er fest, dass die Wälder Jägerschaft seit Jahrzehnten bevorzugt einen etwas höher gebauten Dackel-Brackenschlag führte und sogar züchtete. Dafür wurden nicht nur Hunde benachbarter Täler gekreuzt, sondern auch gezielt neues Blut artverwandter Rassen, bei- spielsweise Dachsbracken, eingebracht. Die Hunde wurden bis Mitte des 20. Jahrhunderts, mitunter auch auf den regionalen Bauernmärkten, von Jägern und Bauern zum Verkauf oder Tausch angeboten. Bildmaterial aus Rists Archiv zeugen von einer langen Geschichte des Wälderdackels. Die sich selbst als „Wälder“ und „Täler“ bezeichnenden Schwarzwälder unterschieden im 19. Jahrhundert noch strikt nach Höhenlage der Herkunft. Die Bewohner der Vorbergzone be- zeichnen die Einwohner des mittleren Schwarzwaldes noch  heute als Wälder. Der Begriff Wälderdackel entstammt somit dem Volksmund. Er stellt die Verbindung zwischen den Wälder-Jägern und deren variantenreichen Jagdgehilfen her, die auf den alten Schwarzwälder Höfen der Bauernjäger auch gleichzeitig als Hofhund fungierten. Spuren führen bis in das 19. Jahrhundert zurück. Belege und Rechercheergebnisse hat Rist in seinem Buch „Auf den Spuren des Wälderdackels“ aufbereitet.

Ende der 1980er-Jahre machte sich der Rüdemann auf die Suche nach solch einem Vierläufer, die er noch aus sei- ner Kindheit kannte. Auf einem alten Hof in Yach (Elztal) wurde er fündig. Der anfangs von vielen Waidmännern belä- chelte Hund überzeugte Rist nicht nur als Hasenfinder, sondern vor allem als bogenreiner Stöberhund auf Schalenwildjagden. Rist begann, eine Zucht aufzubauen. Dafür galteszunächst,einemöglichstbreite Zuchtbasis mit unterschiedlichen Blut- linien zu erstellen. Die Suche nach geeigneten Hunden führte ihn dabei in einsame Schwarzwaldtäler. Das Interesse der Jäger und Hofbesitzer an dem Wälderdackel war deutlich zurückgegangen. In seiner Heimat dominierten andere Rassen. „Da Anfang des letzten Jahrhunderts auf den Höfen selten Zuchtbücher geführt wurden, konnten nur wenige Linien über mehrere Generationen detailliert zurückverfolgt und damit für die Zucht herangezogen werden. Wahllose Einkreuzungen begünstigten den Rückgang des regionalen Jagdhundes zusätzlich“, resümiert Rist.


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Gleich wird der Standschütze den kleinen Solojäger schicken. (Bild: Tobias Thimm)

Am 14. Februar 1998 wurde dann im Glottertal von 13 Hundeführern un- ter seinem Vorsitz der Verein Schwarz- wälderbracke (Wälderdackel e. V.) gegründet, mit dem Ziel, den lokalen Dackel-Brackenschlag, den Wälderdackel, als Jagdhund zu bewahren. Prüfungsordnung, Zuchtordnung, Sat- zung und Rassestandard wurden aufgesetzt und stetig daran gefeilt. „Auch der unkontrollierten Schwarzzucht sollte entgegengewirkt werden“, ergänzt Prüfungsobmann Ulrich Alber, während er seinem Jagdhelfer, der eben noch Ricke und Kitz brachte, die Weste auszieht.

Neben der Strecke sammeln sich etwa 20 Wälderdackelführer zu einem Gruppenfoto. Heute hat der Verein fast 200 Mitglieder und wächst weiter. Er bemüht sich obendrein um Anerkennung und Akzeptanz, denn der Wälderdackel ist keine vom Jagdgebrauchshundverband e. V. (JGHV) anerkannte Jagdhunderasse und dadurch von der Teilnahme an Prüfungen des Verbandes ausgeschlossen. Auch existiert kein FCI-Rassestan- dard (Fédération Cynologique Internationale) und kei- ne Bestätigung durch den Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH). Jan Schafberg, Geschäftsführer des JGHV, begründet dies ganz einfach: „Diese gewachsenen Regeln sind im Einklang mit dem VDH getroffen. Die Mitgliedschaft der Zuchtvereine für Jagdgebrauchshunde im VDH ist Grundvoraussetzung für eine Mit- gliedschaft im JGHV.“


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Ein Wälderdackel vom hirschfarbenen Schlag mit weißem Brustfleck (Weiserpunkt). (Bild: Tobias Thimm)

Ein Antrag auf Anerkennung des Wälderdackels als nationale Rasse beim VDH wurde aber vom Verein für Schwarzwälder Bracken nach ersten Kontaktaufnahmen und einem Mitgliederbeschluss nicht mehr weiterverfolgt, wie Rist erklärt.

Inzwischen wird der Wälderdackel jedoch zunehmend bei den Brauchbarkeitsprüfungen des Landesjagdverbands Baden-Württemberg zugelassen. Für Ulrich Alber alles kein Beinbruch: „Wäre im 19. Jahrhundert ein Verein mit geordneter Zucht gegründet worden, wären die Hunde heute anerkannt. Es handelt sich um keine Neuzüchtung, sondern um einen alten Schwarzwälder Jagdhunde-Schlag.“

Beim Blick in die Wurfkisten wird das breitgefächerte Erbgefüge des Wälderdackels sichtbar. Es bringt unterschiedliche Größen und Farbschläge an Welpen hervor. Diese genetische Vielfalt des Wälderdackels ist im Verein durchaus gewollt.

Der Einsatzbereich der Hunde ist vielseitig. Unverändert werden sie zum Stöbern, für die Baujagd (die kleineren Schläge) und auch zur Nachsuche eingesetzt. Hundeführer des Vereins legen hin und wieder sogar Nachweise über das Bestehen der kompletten Brauchbarkeitsprüfung (Wasserarbeit, Schleppenarbeit mit Apportieren) vor, wie man der Zuchtbuchstelle von Rist entnehmen kann.


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Der vereinseigene Standard lässt Farbvarianten von hirschfarben bis schwarz­rot zu. (Bild: Tobias Thimm)

Der Schwerpunkt ist jedoch eindeutig die Bewegungsjagd in schwierigem Gelände. Hier können die Solojäger vom Stand geschnallt werden und jagen dann sicher spur- und fährtenlaut, ohne zum Fernaufklärer zu tendieren. „Durch- schnittlich wird maximal ein Radius von einem Kilometer um den Führer nicht überschritten“, so Prüfungsobmann Alber. Die Prüfungsordnung des Vereins sieht eine Anlagen-, eine Stöber- sowie eine Nachsuchenprüfung vor. Um in die Zucht zu gelangen, muss neben dem Standard eine erfolgreiche Anlagenprüfung (AP) inkusive Schussfestigkeit vorliegen. Diese ähnelt der Spurlautprüfung der Teckel, bei der ein Hund auf die frische Spur des nicht sichtbaren Hasen angesetzt wird. Die Nachsuchenprüfung (nur für Hunde mit erfolgreicher AP) wird auf getretenen Fährten, jeweils als Übernachtfährte, als 20 oder 40 Stunden alte Fährte, geprüft. Die Stöberprüfung wiederum können nur sicht- oder spurlaute Vierläufer bestehen.

Die laute Jagd auf Schalenwild ist heute noch das Haupt- einsatzgebiet des Wälderdackels. Dadurch, dass die Hunde etwas hochläufiger als Dachshunde sind, sind sie im Mittel- gebirge deutlich „geländegängiger“. Dennoch ist Schnellig- keit nicht gefragt. Das Wild verhofft aufgrund der hartnäckigen Verfolger öfter und kommt den Schützen nicht hoch- flüchtig. Eigenschaften, die in Zeiten zunehmender Bewegungsjagden äußerst gefragt sind und dem Tierschutz gerecht werden. Der Wälderdackel ist außerdem sehr robust, jagt führerbezogen und verfügt über einen guten Orientierungssinn, sagen seine Liebhaber. Zudem soll sein Wesen als alltags- und familientauglich gelten. Besondere Ansprüche an die Haltung stellt er nicht.

„Die Nachfrage nach den Jagdhunden steigt“, berichtet Rist. Etwa 30 bis 40 Welpen pro Jahr gingen von 2008 bis 2014 in Jägerhände. Für den Jagdalltag des reinen Waldjägers kann der Wälderdackel durchaus interessant sein. Neben seinen Qualitäten in der Praxis und der handlichen Körpergröße ist es aber wohl auch eine Riesenportion süddeutschen Charmes, der die kleinen Schwarzwälder für viele Waidmänner so attraktiv macht.

Infos: waelderdackel.de

 

Autor: Tobias Thimm