28.07.2023
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F&F
Ausgabe 08/2023
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14 Min

Praxis Schwerpunkt

Hechtangeln im Klimawandel

Die Winter werden milder, die Sommer heißer. Was das für die Aussichten auf den Esox als Zielfisch bedeutet, erklärt Uli Beyer am Beispiel seiner verschiedenartigen Reviere.

Hechtangeln im Klimawandel

Bild: Shutterstock

Seit nunmehr 50 Jahren träume ich als leidenschaftlicher Angler von großen Hechten, und schon 1998 gelang mir die Landung eines absoluten Traumfisches von 1,35 Metern Länge. Nach diesem Fang war ich sicher, dass dieser extreme Glücksfall niemals wiederholbar sei und ich mich damit abfinden müsse, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder einen noch kapitaleren Esox in Händen halten werde.
Knapp 25 Jahre später bin ich da nicht mehr so sicher, obwohl der damals ­gelandete Fisch noch immer mein längs­ter Hecht überhaupt geblieben ist. Seinerzeit war der Klimawandel zwar schon im Gange, aber noch kein großes Thema. Seither beobachte ich mit Neugier und Interesse die Entwicklung des Hechtangelns ebenso wie ­ die Veränderungen an vielen Gewässern.
„Früher war alles besser“ oder „Früher haben wir viel mehr große Fische gefangen“ - solche Sprüche hört man von vielen Kollegen an unterschiedlichsten Gewässern. Aber wenn ich meine eigenen Fangbücher einmal intensiv durchgehe, dann stelle ich immer wieder fest: Extrem schlechte Phasen, ja sogar ganze Jahre, hat es immer gegeben. Und ich wage sogar die kühne Aussage, dass mein Hechtangeln im Laufe der letzten 30 Jahre sogar besser geworden ist. Das mag ganz sicher auch daran liegen, dass ich besser vernetzt und mobiler bin, als ich es noch vor 30 Jahren war. Damals bin ich sehr auf wenige und eher lokale Gewässer angewiesen und entsprechend darauf fokussiert gewesen.

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Uli beim sommerlichen Spinnfischen auf Hecht im niederländischen Rheindelta bei Rotterdam. Zur warmen Jahreszeit bereiten vor allem Blau­algen-Explosionen zunehmend Probleme. (Bild: F&F)

Ich war zum Beispiel intensiver am Rhein unterwegs und begann auch, den Möhnesee gründlich zu befischen. Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre kamen die legendären Boddengewässer hinzu, die einen exzellenten und damals noch weniger bekannten Hechtbestand aufwiesen. Die Produktivität war dort extrem groß, und ich wähnte mich über Jahrzehnte in einem wirklich fantastischen Esox-Paradies. Aber nirgendwo sonst wie an den Bodden musste ich erfahren, dass sich Vieles ändert. Ich habe gelernt, mich immer über momentane, außerordentliche Fänge zu freuen. In den Bodden fing ich 2001 noch sage und schreibe 93 Meterhechte, und Angeltage ohne diese magische Marke zu knacken, stellten schon fast eine kleine Enttäuschung dar. 20 Jahre später wäre ich froh, wenn ich dort - bei gleichem Aufwand - zehn Meterhechte pro Jahr fangen könnte. Natürlich fragt man sich als Angler dann, woran das denn liegen könne, und die Gründe sind wahrscheinlich vielfältig. Ist vielleicht auch der Klimawandel daran schuld?
Bei uns am Möhnesee gibt es ebenfalls starke Veränderungen. Ich stelle fest, dass es deutlich schwieriger geworden ist, besonders viele kapitale Hechte zu fangen. Obwohl es die zumindest im Möhnesee noch immer in sehr großer Zahl gibt. Das bestätigen mir jedenfalls die alljährlichen spektakulären Anlandungen der ortsansässigen Fischerei. Wer da mal mitfährt, wird „blind“ vor lauter Riesenhechten. Die Veränderungen in Bezug auf unsere Fänge mit der Angel müssen also auch andere Gründe haben als gefühlt rückläufige Fischbestände zum Beispiel durch den Klimawandel. Bitte bei dieser Bewertung berücksichtigen, dass ich hier nur für die Hechtfischerei spreche!

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Auch an den Bodden, hier der Greifswalder aus der Vogelperspektive, haben sich die Zeiten geändert. Wurden die Hechte früher regelmäßig im tieferen Wasser gefangen, beißen sie heute ganzjährig im Flachen unterhalb der Metermarke. (Bild: Shutterstock)

Akuter Sauerstoffmangel

Seit 15 Jahren bin ich sehr intensiv auch in den Niederlanden unterwegs. Für viele Angler ist es momentan das „gelobte Land“. Denn dort scheinen die Hechtvorkommen nach Größe und Anzahl unermesslich zu sein. Mir gelangen dort wiederholt Riesenfänge bis 1,34 Meter, die sogar schwerer als mein Möhneseehecht waren. Obendrein suggerieren auch viele Videos von anderen Anglern, die im Rheindelta gedreht wurden, dass es extrem einfach sei, dort einen kapitalen Esox zu landen.
Dieses Revier bei Rotterdam ist zwar ein großes, extrem nährstoffreiches Gewässer-System, das inzwischen von Petrijüngern aus ganz Europa regelrecht heimgesucht wird. Aber auch hier wachsen Hechtanglers Träume nicht in den Himmel. Wie überall, macht sich neben dem starken Angeldruck tatsächlich auch das veränderte Klima mit Folgen für die Gewässer und Angelei bemerkbar.
Heiß diskutiert wurden aber auch hierzulande gerade im vergangenen Hitzesommer 2022 die hohen Temperaturen. Zum Beispiel während des traurigen Fischsterbens an der Oder. Die Kombination aus vielen Nährstoffen und Salzen in Verbindung mit hohen Temperaturenen und damit einhergehender Algenexplosion birgt ein gewaltiges Risiko für den Fischbestand, nämlich akuter Sauerstoffmangel!

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Weht der Wind über längere Zeit aus einer bestimmten Richtung, entsteht an Stillgewässern oft zum Spätsommer hin eine Sprungschicht. Unterhalb dieser kalten, sauerstoffarmen Zone lauern keine Räuber mehr. (Bild: F&F)

Im Rheindelta gab es zwar kein Fischsterben, aber sehr problematische Blaualgen. Die drücken ebenfalls den Sauerstoffgehalt zeitweise nach unten. Die niederländische Regierung begegnet diesen Algen mit Salzwassereintrag über die Schleusen zur Nordsee. Und sie muss das aufgrund der heißer werdenden Sommer und damit verbundenen höheren Wassertemperaturen zunehmend drastischer tun. Algenwachstum und Sauerstoffmangel sehe ich in nährstoffreichen Gewässern denn auch als extrem zunehmendes Problem für unsere Gewässer und das Hechtangeln. Zwar lernt man überall, dass wärmere Gewässer auch schnelleres Wachstum bei wechselwarmen Tieren wie Fischen bedeuten. Aber diese Gleichung gilt nur innerhalb bestimmter Grenzen. Wird es im Sommer über längere Zeiträume zu heiß, sinkt der Sauerstoffgehalt des Wassers bedenklich ab. Mit der Folge, dass die Fische dann nicht mehr fressen, im schlimmsten Fall sogar sterben, wie das unter anderem im Hitzesommer 2022 in manchen Gewässern zu beobachten war. Das sogenannte „Umkippen“ wird durch starken Düngemitteleintrag und zunehmende Wassertemperaturen noch stark befördert.

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Der Rhein bei extremem Niedrigwasser im Sommer 2022. Teils musste der Schiffsverkehr eingestellt werden, und auch das Angeln fällt schwer unter diesen Bedingungen. (Bild: Shutterstock)

Das Salz in der Hechtsuppe

In den letzten zwei Jahren haben wir deshalb auch drastische Veränderungen im Rheindelta festgestellt. Bis zu einem gewissen Grad schlägt den Fischen das nur auf den Magen - unsere Hechte vertragen, überleben das. Allerdings, und das haben wir schon damals in den Bodden festgestellt, lässt viel frisches Salzwasser die Fänge auf den Nullpunkt sinken. Als Angler ist man nun angehalten, die Bereiche des Gewässers zu suchen, die wenig oder gar nicht von diesem Eintrag betroffen sind. Dort findet man dann auch die Hechte, zum Beispiel in Flachzonen.
Ich vermute, dass in den Bodden zwei Gründe zu einem zumindest zwischenzeitlichen Rückgang der Hechtfänge geführt haben und befürchte, dass diese auch im Rheindelta relevant werden können: Erstens konstant viel Salzwasser in größeren Gewässerbereichen. Dies schränkt den möglichen Lebensraum und die Reproduktionsmöglichkeiten ein. Jedenfalls hat der vor etlichen Jahren erfolgte Salzwassereinstrom aus der Nord- in die Ostsee den Lebensraum erheblich verändert. Konnte man früher zumindest in der Sommerzeit viele Hechte in der freien Ostsee fangen, gibt es dort heute praktisch keinen Esox mehr. Allerdings kann man hier nur mutmaßen. Denn neben dem Salzwassereinstrom gab es im Laufe der letzten Jahrzehnte auch eine extreme Zunahme von Kormoranen und Robben. Diese Fischfresser machen im Jagdrausch auch vor Hechten nicht halt. Im Rhein-Delta wiederum könnten auch andere Fischarten eine Gefahr für Esox bedeuten oder seinen Lebensraum deutlich weniger produktiv gestalten. Hier konnte ich im Laufe der letzten Jahre eine Verschiebung des Fischbestandes beobachten: weg vom Hecht und hin zu Wels und Rapfen. Beides typische Fischarten, wie wir sie aus den südost-europäischen Gewässern kennen, die ja nährstoffreich und wärmer sind.
Auch mit Welsbesatz muss man vorsichtig sein beziehungsweise deren Bestandsdichte im Blick behalten. Waller als wärmeliebende Spezies haben mit den stetig ansteigenden Temperaturen sicher das Potenzial, Hechte weitgehend zu verdrängen. Im Möhnesee beobachten wir seit zirka zehn Jahren eine deutliche Zunahme des Welsbestandes. ­Manchem Aalangler werden nachts die vielen Miniwelse mitunter schon lästig.
Durch den Klimawandel sehe ich also auch eine stete Verschiebung unserer Fischbestände, die aber nicht unbedingt einseitig sein muss. Gleichzeitig sind nämlich viele Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe verpflichtet, extremen Nährstoffeintrag in unsere Gewässer abzustellen, zumindest aber einzuschränken. Das bedeutet, dass mancherorts sicher auch ein Nährstoffrückgang festzustellen ist. Damit verbunden, werden Gewässer klarer, was dem Hecht wiederum entgegenkommt. Besonders die Zanderangler sehen das oft kritisch. Denn sehr schnell tauchen dann auch wieder vermehrt Hechte auf, sofern die nicht gleich und in größerem Umfang erbeutet und entnommen werden. Das wichtige Zusammenspiel von Temperatur, Algenbildung und Sauerstoff gilt in Stillgewässern zwar als beonders sensibel. Aber auch unsere Flüsse haben als häufige Esox-Reviere mit vielen Faktoren zu kämpfen.

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Bei lang anhaltender Hitze sorgen Wehre und Einmündungen am Fluss für zusätzlichen Sauerstoffeintrag - da muss der Hechtköder hin! (Bild: F&F)

Flüsse im Wandel

Der Rhein ist ein Paradebeispiel dafür, welche Probleme Menschen dem Hecht bereiten können. Schifffahrt und Landgewinnung durch Abriegelung beziehungsweise Schließung vieler Auen und Nebengewässer machen es dem Esox schwer, sich dort effizient zu reproduzieren. Früher waren Hochwasser in der Laichzeit lang und weniger stark ausgeprägt. Heute, und das liegt nicht nur am Klimawandel, sondern auch an der Verbauung, wird das Hochwasser möglichst schnell abgeleitet. Hechtlaich kann sich da nur noch wenig oder gar nicht entwickeln. Die Eier fallen vor dem Schlüpfen der Jungfische trocken. Hier wäre es wünschenswert, den Hechten mehr Möglichkeiten für gutes Ablaichen zu bieten und die Wasserstandsschwankungen weniger stark und schnell aus­fallen zu lassen.
Da von diesen extrem volatilen Pegelständen jetzt auch zunehmend der Mensch selbst mit Haus und Hof betroffen ist - ich denke da zum Beispiel an ­ die Ahr-Hochwasser-Katastrophe im Sommer 2021 - habe ich die Hoffnung, dass man auch dem Rhein im Laufe der kommenden Jahre wieder etwas mehr Freiräume, also Flutgebiete für höheres Wasseraufkommen, gönnt. Das wäre zwar ein gewisser Verlust an Nutzfläche, dafür aber ein gewaltiger Gewinn für die Natur und unsere Hechte. Erste Denkansätze dazu gibt es ja schon.

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Hechtdrills im warmen Wasser sollten möglichst kurz ausfallen, wenn die Fische unbeschadet zurück­gesetzt werden sollen oder müssen. Deshalb sollte grundsätzlich nicht zu leicht gefischt werden. (Bild: F&F)

Die Zukunft ist ungewiss

Zusammenfassend wage ich keine klare Prognose, wie sich die Esox-Bestände in Deutschland in Zukunft entwickeln werden. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Argumente fallen mir so­- wohl für eine Verbesserung als auch eine Verschlechterung des Hechtangelns ein. Sicher bin ich jedoch, dass unsere Zielfische im Laufe der letzten Jahre auch leichter zu lokalisieren und damit zu fangen waren. Nicht zuletzt weil die Technik, speziell moderne Echolote, viele Angler erst zu einzelnen Hechten geführt hat.
Wenn jedoch unverantwortliche Kollegen das ganze Jahr über, selbst bei Wassertemperaturen von über 20 Grad - und im schlimmsten Fall auch „wegen des Angeldrucks“ mit feinsten Schnürchen - dem Großhecht stundenlang auf der Nase herumtanzen, wird es gefährlich. Bei Hitze, erst recht in Verbindung mit extrem langen Drills, nützt selbst das in Holland verbereitete Catch & Release nichts mehr. Denn das kostet vielen Fischen das Leben und bringt die Bestände in Gefahr. Es gilt die simple Gleichung: Je wärmer das Wasser, desto mehr gefährdet man die Hechte. Hier stehen nach meiner Überzeugung auch die Angler selbst in der Verantwortung. Unter ernsthaften Hechtfreunden ist es nicht gern gesehen, wenn bei anhaltend hohen Temperaturen dem Esox nachgestellt wird.
Einen Ausgleich zu diesen selbst auferlegten Fangpausen bieten ja die mil­deren Winter. Gab es früher viel mehr Schnee und Eis, und waren die Hechte oft gar nicht erreichbar für uns, können wir heute die an die Hitze verlorenen Tage öfter im Winter nachholen. Die Entwicklung unserer Esox-Bestände haben wir meiner Meinung nach vielerorts selbst in der Hand. Und ich hoffe auf die Vernunft der Angler und Bewirtschafter unserer Gewässer. Denn ich wünsche mir sehr, dass auch in den kommenden 20 Jahren noch gutes Fischen auf meinen liebsten Räuber möglich bleiben wird.

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Uli beim Spinnfischen während der Profi-Liga im Juli 2019 am Fluss. Eine wahre Hitzeschlacht in den Niederlanden bei Temperaturen von über 30 Grad. (Bild: Uli Beyer)

 

Autor: Uli Beyer