RF Praxis
Gegen jede Regel
Zander mögen wenig Licht oder gar die komplette Dunkelheit, so steht es in den Büchern. Warum sie jedoch an diesem denkwürdigen Angeltag super flach standen, kann auch Birger Domeyer nicht erklären.Text: Birger Domeyer Fotos: Sander Boer
Bild: Sander Boer
Naja - und jetzt können Sie sich ja vorstellen, wie das so läuft. Wenn schon ein Kameramann und ein Fotograf mitkommen, dann plant man viel Zeit ein. Für meinen Geschmack etwas zu viel. Ich vermutete, dass die Zander, wie immer, etwa gegen 22 oder 23 Uhr aktiv werden, wenn es dämmert. Richtig dunkel ist es ja auch erst deutlich nach 23 Uhr in dieser Jahreszeit. Der Kameramann gab aber den Zeitplan vor und wollte schon um 17 Uhr starten. Ein paar Aufnahmen und Erläuterun-gen zu der Technik schonmal im Hellen drehen.
Ich bin bis heute nicht sicher, ob die Niederländer erwarteten, dass Moderationen oder sonstige Aufnahmen sehr lange dauern würden. Aber so wirklich ist es ja nicht das erste Mal, dass ich vor der Kamera stehe. Mir war also klar: Wir sind viel zu früh dran. 30 Grad, volle Sonne und flach laufende Wobbler: Das hielt ich für eine unfruchtbare Kombination. Und sechs Stunden Zeit mit Erklärungen zum Zanderwobbeln bekomme ich auch nicht zusammen, so kompliziert ist die Angelei ja zum Glück nicht.
Also habe ich etwas auf Zeit gespielt, mal langsam am Auto die Sachen gepackt und einen sehr weiten Weg zum ersten Angelplatz angestrebt. Aber auch das Trödeln half nicht viel: Um 18 Uhr waren wir auf der Buhne. Der erste Blick ins Wasser verhieß nichts Gutes: Keine Strömung, nur leicht angetrübtes Wasser. Also hätte ich 50 Euro wetten sollen: Auf einen Zanderbiss im Flachwasser wäre meine Wahl nicht gefallen. Aber was soll‘s, das Kamerateam war scharf darauf loszulegen, und even- tuell kann man ja auch mit einem Hecht starten.
Blitzstart
Auf der zweiten Buhne mache ich also den typischen kurzen Schlenzwurf quer über den Buhnenkopf mit dem Zanderkönig und kurble ihn langsam über die Steine zurück. Eigentlich wollte ich Joran so zeigen, welcher Wurf später im Dunkeln der beste ist, als ich den ersten satten Biss erhalte. Etwas erstaunt setze ich den Anhieb, rechne aber ehrlich gesagt mit einem Hecht. Zum Vorschein kommt aber tatsächlich ein etwa 65 Zentimeter langer Zander, der wie aus dem Lehrbuch auf dem typischen Nacht-Jagdplatz stand - nur, dass es immer noch sehr hell war. Eine Erklärung dafür habe ich ehrlich gesagt nicht wirklich. Normalerweise stehen Zander bei diesen Bedingungen tiefer, und ich würde ganz klar das Jiggen mit Gummi oder einem tief laufenden Twitchbait bevorzugen. Damit hätte ich diesen oben auf den Steinen stehenden Zander aber garantiert unterfischt. Auch an der nächsten Buhne geht es ganz schnell mit dem Zanderbiss. Mittlerweile ist es zwar schon Abend, aber immer noch nicht so dunkel, dass ich mit dem flachen Wobbeln angefangen hätte.Das ist echt interessant und schon etwas gegen jede Zander-Regel. Das Wasser in diesem Fluss ist zwar nicht klar, sondern eher so mitteltrüb. Aber die komplett fehlende Strömung und die grelle Sonne sprechen doch klar dagegen, dass sich Zander jetzt ins Flache stellen und dort auch noch aktiv fressen. Ich bin mir auch nach wie vor sicher, dass das nicht jeden Tag funktionieren wird. Aber ich werde dieses Erlebnis abspeichern und demnächst immer wieder vorab ein paar Würfe flach ansetzen, bevor ich tiefer am Grund fische.
Ein Super-Beißtag?
Eine Theorie für unseren Filmdreh hatte ich ja noch im Hinterkopf, die zumindest etwas erklären könnte, warum es tagsüber schon ganz gut beißt. Vielleicht ist es ja einer dieser besonderen Beißtage, an dem die Zander dann abends komplett ausflippen. Das wären dann die Vorboten sozusagen. Für unseren Filmdreh wäre das natürlich super, weil wir dann mit jeder Menge Action rechnen könnten. Ich nehme es vorweg: Auch das war nicht der Fall. Zwar fingen wir in der Dämmerung noch den einen oder anderen Zander auf Wobbler, aber so richtig überragend wurde es nicht. Außerdem kassierte ich doch recht viele Nachläufer und Fehlbisse, was anzeigt, dass die glasäugigen Räuber nicht so recht in Laune waren. Also auch die Super-Beißtag- Theorie fällt ins Wasser.Vielleicht spielte auch die Hitze eine Rolle. Hohe Wassertemperaturen aktivieren Zander grundsätzlich schon. Aber eigentlich halten sie dann bis abends aus, um ein plötzliches Beißorchester zu starten. Ich kann abschließend nicht genau sagen, warum die Zander tagsüber flach gut gebissen haben. Ich muss aber gestehen, dass ich es normalerweise auch nicht intensiv probiere, so seicht mitten am Tag zu fischen. Vielleicht ist das hin und wieder doch einen Versuch wert?
Meistens im Sommer
So wirklich ganz und gar neu ist es aber nicht, dass Zander phasenweise auch tagsüber recht flach stehen. Ich erinnere mich zum Beispiel noch an eine Woche im September in den Niederlanden, in der es ähnlich lief. Wir waren an den Flüssen Nieder-rhein und Maas unterwegs und haben eigentlich Barsche gesucht, deshalb mit dem kleinen Twitchmaster dicht an der Steinschüttung gefischt und Strecke gemacht. Beide Flüsse hatten keinen besonders hohen Pegelstand und sogar recht klares Wasser. Vor allem die Maas zeigte Sichttiefen von eineinhalb Metern, was für den Fluss recht viel ist.Und trotzdem fingen wir mitten am Tag bei grellem Sonnenschein hier und dort Zander auf die Wobbler. Der Twitchmaster ist zwar mit 2,8 Metern Tauchtiefe kein Flachläufer. Aber die Bisse kamen auch allesamt eher auf den letzten Metern. Die Zander standen also eher auf den Steinen als unten am Kantenfuß nahe des Flussbetts, wo sie normalerweise liegen. Auffällig bei diesen Fischen war, dass sie insgesamt eine etwas höhere Durchschnittsgröße aufwiesen als die tiefer tagsüber gejiggten Zander. Die flachen Räuber maßen meistens zwischen 60 und 70 Zentimeter. Dafür waren es aber nicht ganz so viele.
Eine mögliche Theorie dahinter, dass ge-rade die größeren Zander nicht mehr so lichtempfindlich sind wie die kleinen Artgenossen, hat ja unser Autor Tim Puts schon biologisch bestätigt. Es würde aber bedeuten, dass man grundsätzlich immer eine Chance haben sollte, recht flach schöne Zander zu erwischen. Das kann ich bisher noch nicht bestätigen. Zwar klappt diese Methode phasenweise sehr gut, aber längst nicht immer. Und meiner Erfahrung nach in der kalten Jahreszeit fast gar nicht.
Fakt ist aber: Wenn Zander flach auf den Steinen im Sommer stehen, beißen sie recht gut. Und man kann besser mit Hardbaits fischen, weil Gummifische am Bleikopf zu häufig in den Steinen festklemmen. Deshalb bleibe ich dabei und lege mir immer einen oder zwei Wobbler in die Zander-Box, auch wenn ich eigentlich vorhabe, an dem Tag nur Jiggen zu gehen. Denn wer weiß, vielleicht steht der Fisch des Tages gar nicht so tief? Sehen Sie den Film zu diesem Angeltag jetzt auf dem Youtube-Kanal von der Sportvisserij Nederland:
https://www.youtube.com/watch?v=Qd434HxfKjs&t=1s
Autor: Birger Domeyer