04.01.2024
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10 Min

Biodiversität und Jagd

Artenschutz und Jagd – das ungleiche Paar

Kann ein Jäger, der Tiere tötet, Natur- und Artenschützer sein? Regelmäßig wird die Rolle der Jagd von Umweltorganisationen mit dieser Frage in Zweifel gezogen. Prof. Dr. Klaus Hackländer hat sie zur Verleihung des Biodiversitätspreises des Grünen Kreuzes in Wien beantwortet.

Artenschutz und Jagd – das ungleiche Paar

Bild: Burkhard Winsmann-Steins

Biodiversität – ein Schlagwort, das die gesellschaftliche und politische Diskussion erreicht, trotz anderer großer Herausforderungen für die Menschheit im 21. Jh., wie Klimawandel, Frieden, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und die dazugehörige Integration. Immer wieder wird auch von der Bio- diversitätskrise gesprochen, ein Begriff, der deutlich machen soll, dass wir einen zunehmenden Verlust an Biodiversität feststellen. Biodiversität ist dabei mehr als Artenvielfalt. Biodiversität ist die Vielfalt des Lebens, also die Vielfalt an Lebensräumen, an Arten, aber auch die Vielfalt innerhalb von Arten. Am einfachsten messbar ist der Verlust an Biodiversität durch eine Inventur der Arten. Dies geschieht durch regelmäßige Einschätzungen über deren Zustand anhand der Rote-Liste-Kriterien der IUCN, der Weltnaturschutzorganisa- tion. Weltweit sind ca. 2 Mio. Arten beschrieben, geschätzt gibt es ca. 11 Mio. Die meisten sind also noch nicht beschrieben bzw. entdeckt. Dies liegt daran, dass dazu eben auch Viren, Bakterien, Würmer, Schnecken, Wirbellose und auch die vergleichsweise wenigen Wirbeltiere gehören. Jedes Jahr werden ca. 18 000 Arten neu beschrieben, davon 75 % Wirbellose, aber auch erstaunliche 7 % Wirbeltiere. Auf der anderen Seite der Medaille steht der Verlust an Arten. Aktuell verlieren wir pro Jahr unwiederbringlich bis zu 58 000 Stück.

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(Bild: Quelle: Leopoldina)

Welche Rolle spielt dabei der Mensch? Natürlicherweise sind vor der Neuzeit im Schnitt 10 Arten pro Jahr ausgestorben. Ein ganz natürlicher Prozess der Evolution. Die Zehntausende, die aktuell von unserem Globus verschwinden, werden also ausgerottet. Als Ausrottung bezeichnen wir das Aussterben, das durch direkten oder indirekten Einfluss der Menschen geschieht.
 
Die Hauptgründe für den menschengemachten globalen Artenschwund sind Lebensraumverlust, Verschlechterung der Lebensraumqualität, Übernutzung von Arten, Umweltverschmutzung, Neozoen inkl. Krankheiten und insbesondere in den vergangenen Jahren auch der Klimawandel. Eine aktuelle Studie vom 8. November 2023 in der Fachzeitschrift PLoS über den Zustand Europas Biodiversität anhand der Roten Listen hat alarmierend festgestellt, dass 19 % der in den Roten Listen Europas erfassten Arten gefährdet sind, auszusterben bzw. ausgerottet zu werden. Das größte Risiko besteht für Pflanzen (27 %), gefolgt von Wirbellosen (24 %). Bei Wirbeltieren (Vögel, Säugetiere, Fische, Amphibien und Reptilien) sind es 18 %. 1 von 5 Arten, die in Europa leben, könnten also bald verschwinden. Viele davon, nämlich 47 %, sind endemisch, d. h. sie kommen nur in Europa vor und sonst nirgends auf der Welt. Das Aussterben in Europa ist damit ein Aussterben auf unserem Planeten. Und die Dunkelziffer ist hoch, denn die Inventur der Arten Europas erfasste 14 669, also nur 10 % der in Europa insgesamt vorkommenden Spezies. Üblicherweise werden die leicht zu beobachtenden Arten erfasst. Die vielen Wirbellosen, die für unsere Ökosysteme so wichtig sind, bleiben unter dem Radar.
 
Für was braucht es überhaupt so viele Arten? Es ist bekannt, dass Ökosysteme umso stabiler sind, je höher deren Biodiversität ist. Stabile Ökosysteme sind auch die Lebensgrundlage der Menschheit, denn wir leben von den natürlichen Ressourcen. Sie alle kennen das Spiel Jenga. Zu Beginn steht ein Turm aus Holzklötzchen. Der Reihe nach ziehen alle Spieler einen aus dem Turm. Was am Anfang leicht erscheint, wird mit der zunehmenden Zahl fehlender Steine schwieriger. Und irgendwann kracht der Turm in sich zusammen. Ähnlich kann man sich die Rolle der Artenvielfalt für die Ökosysteme vorstellen. Es passiert i. d. R. nichts, wenn ein paar Arten fehlen, aber mit zunehmendem Artenschwund verliert das Ökosystem seine Stabilität und ändert sich zum Schlechten. Auch ein zerstörtes Ökosystem ist noch eines, aber es bietet uns Menschen keine Lebensgrundlage mehr.

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Anerkannt durch die Weltnaturschutzorganisation (IUCN) – weltweit hat eine geregelte, nachhaltige Jagd einen positiven Effekt auf den Erhalt von Lebensräumen und Artenvielfalt. (Bild: Michael Stadtfeld)

Europa spiegelt bei der Arteninventur wider, was auf der ganzen Welt festgestellt werden kann. Und die Gründe für den Artenverlust sind in Europa ähnlich den globalen: Auch in Europa ist der Lebensraumverlust und die Verschlechterung von Lebensraumqualität von allergrößter Bedeutung. Die Übernutzung von Arten wurde als wichtiger Grund für die Bedrohung der Vielfalt beschrieben. Dieses Phänomen, die nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, ist vor allen Dingen in unseren Meeren vorhanden. Dort gibt es Überfischung und unabsichtliche Beifänge bedrohter Tierarten.
 
Und was ist mit der Jagd auf dem Festland? Welche Verantwortung trägt das Waidwerk in Hinblick auf den Artenverlust? In der Neuzeit sind in Europa nur 2 Säugetierarten und 2 Vogelarten ausgestorben: der Auerochse, der Sardische Pfeifhase, der Riesenalk und der Kanaren-Austernfischer. Was waren die Ursachen? Vom Sardischen Pfeifhasen weiß man, dass er vom Menschen gejagt und gegessen wurde, aber es gibt in seinem ursprünglichen Habi- tat, den Inseln Korsika und Sardinien, auch andere mögliche Gründe, z. B. Landnutzungsänderung, gebietsfremde Arten oder eingeschleppte Krankheiten. Man weiß auch nicht, wann der Sardische Pfeifhase verschwand, evtl. vor 2 000 Jahren oder spätestens Ende des 18. oder 19. Jh. Auerochsen litten in Europa v. a. durch die wachsende Bevölkerung, Waldrodungen und Siedlungsbau. Diese verdrängten den Auerochsen nach und nach aus seinem Lebensraum. Zusätzlich machten domestizierte Rinder den Auerochsen ihre Futterplätze streitig. Auch Viehkrankheiten und Bejagung sorgten für das Verschwinden der Art. Der letzte Auerochse, eine Kuh, starb 1627 in einem naturnahen Wald in der Nähe von Warschau.

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Breitmaulnashörner überleben auf privaten Jagdfarmen, weil ihnen dort das von Wilderern begehrte Horn abgenommen wird. (Bild: Michael Stadtfeld)

Der Riesenalk lebte auf einer Insel bei Island, und der Großteil der Population starb 1830 durch einen Vulkanausbruch. Die übrigen wurden durch den Menschen tatsächlich übernutzt, sodass der letzte Riesenalk 1844 bzw. evtl. auch erst 1852 getötet wurde. Und der Kanaren-Austernfischer, der seit 1913 nicht mehr gesichtet wurde, war auf den Kanarischen Inseln ohnehin sehr selten. Seine Eier waren begehrt, aber sein Lebensraum wurde auch zerstört. Zudem setzten ihm die eingeführten Ratten und Hauskatzen zu. Ob die 4 Arten nun durch Übernutzung oder doch durch andere Ursachen in Europa ausstarben, ist ungewiss. Wahrscheinlich wurden sie aber ausgerottet, da der Mensch auch durch indirekte Effekte zum Aussterben beitragen kann.

Betrachtet man aber die vergangenen 100 Jahre, darf getrost festgestellt werden, dass durch die Jagd keine einzige Vogel- oder Säugetierart in Europa ausgerottet wurde. Dies liegt u. a. an der Tatsache, dass die Jagd seit etwas mehr als 100 Jahren in Europa auch gesetzlich geregelt ist. Insbesondere im deutschsprachigen Raum wurde die Verpflichtung zur Hege von Wildarten eingeführt, aber auch Schonzeiten erlassen, um die Reproduktion von Wildarten zu gewährleisten, nicht nur aus moralischen Gründen.

Es entwickelte sich mehr und mehr die Erkenntnis, dass Wild eine natürliche Ressource ist, die man bewirtschaften muss, um sie nachhaltig nutzen zu können. Daraus entwickelte sich der Begriff Jagdwirtschaft. Jagdwirtschaft hat sich insbesondere in den 1990er-Jahren zu einem positiven Begriff entwickelt, bei dem nicht alleine die Maximierung von Wildbret oder die Minimierung von Wildschäden im Vordergrund stehen, sondern die nachhaltige Jagd als solche. Diese wurde zunächst von der Weltnaturschutzorganisation IUCN und später auch von der Biodiversitätskonvention als wichtiges Instrument beim Erhalt von Artenvielfalt anerkannt. In der Europäischen Charta zu Biodiversität und Jagd des Europäischen Rates sind die Prinzipien dazu festgeschrieben. Jagd, sofern sie nachhaltig ist, ist also in Zeiten der Biodiversitätskrise nicht mehr das Problem, sondern Teil der Lösung.

Umso ärgerlicher sind die sog. schwarzen Schafe in der Jagd. Noch immer werden Greifvögel mit Gift qualvoll getötet. Luchs, Wolf und Bär verschwinden in Stauseen, werden an Ortstafeln gehängt oder verstauben in Jagdhütten. Die Täter bleiben meistens unerkannt, und daher ist die Aufklärungsquote auch erschreckend gering. In einer Masterarbeit an unserem Institut (an der Boku in Wien) wurde festgestellt, dass von 128 Fällen von Wildtierkriminalität in den vergangenen Jahren nur einer vor Gericht landete.

Es ist also wichtig, dass die Jägerschaft geschlossen derartige illegale Handlungen verurteilt, sich von den Täterinnen und Tätern distanziert und diese nach Möglichkeit auch aus den eigenen Reihen ausschließt. Das ist für das Image der Jagd essenziell, insbesondere in Zeiten einer Informationskampagne von Jagd Österreich (s. WuH 20/2023, Seite 72), die der Bevölkerung und auch der Dudenredaktion (in Berlin) die positiven Seiten der Jagd vermitteln soll.
Schließlich ist Jagd mehr als nur das Nachstellen, Fangen und Erlegen von Wild. Jagd ist wohl die intensivste Naturerfahrung und geht weit über das Schießen hinaus. Und wie gesagt: Durch die Anerkennung der IUCN und der Biodiversitätskonvention hat die Jagd die Chance, als positive Kraft im Kampf gegen Artensterben und Biodiversitätsverlust anerkannt zu werden – vorausgesetzt in den Medien ist nicht nur von illegalen Abschüssen oder durch Schrotschüsse verletzte Jäger zu lesen, sondern auch von den positiven Seiten der Jagd.

Von den positiven Seiten gibt es viele, und es ist wichtig, diesen auch eine Bühne zu liefern. Jägerinnen und Jäger kümmern sich um Wildlebensräume, deren Verlust oder deren Verschlechterung laut der am Anfang erwähnten Studie den größten Einfluss auf die Artenvielfalt hat. Und gerade Österreich hat viel zu verlieren. Die Alpenrepublik hat im europäischen Vergleich eine sehr hohe Artenvielfalt. Das liegt nicht nur an der Diversität der Lebensräume – von der pannonischen Tiefebene bis in die Zentralalpen – sondern auch an der vergleichsweise kleinräumigen Struktur und der vielerorts extensiven Landnutzung. Doch auch diese Vielfalt ist bedroht.
Schauen wir gemeinsam, dass wir in Österreich und Europa den Artenverlust stoppen. Unsere Ökosysteme brauchen Artenvielfalt, um mit den Veränderungen auf unserer Welt umgehen zu können. Wir brauchen Artenvielfalt, weil wir stabile Ökosysteme für die Nutzung natürlicher Ressourcen brauchen. Und wir ergötzen uns an Artenvielfalt, wenn wir draußen mit offenen Sinnen die Natur erleben.
 


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(Bild: Heiko Hornung)
Prof. Dr. Klaus Hackländer (53) lehrt an der Universität für Bodenkunde in Wien. Er ist Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung und wildbiologischer Beirat der WILD UND HUND. Den Vortrag „Landnutzung und Biodiversität – Jagd als gelebter Naturschutz“ hielt er am 15. November 2023 im österreichischen Parlament anlässlich der Verleihung des Biodiversitätspreises des Grünen Kreuzes.
 
 
 

Autor: Prof. Dr. Klaus Hackländer