28.07.2023
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JWW
Ausgabe 03/2023
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13 Min

Kirgistan

„Die spinnen, die Kirgisen!”

Mit diesem Spruch einen Jagdreisebericht zu betiteln, ist ungewöhnlich. Ich werde dem Leser jedoch zeigen, dass er zutreffen kann.

„Die spinnen, die Kirgisen!”

Bild: René Hey

Den Zwischenstopp Istanbul haben wir bereits hinter uns. Jetzt liegen noch fünf Stunden Flug bis Bischkek vor uns. Meine mitreisenden Jagdfreunde versuchen gerade, im Flieger Schlaf zu finden. Ich hingegen lebe in einer Art Vorfreude und Aufgeregtheit. Ich denke über den Ablauf der kommenden Tage nach: Das Weidwerken auf den Sibirischen Steinbock in Kirgisien ist für uns vier Jäger ein lang gehegter Traum. Oder heißt es doch Kirgistan? Beide Bezeichnungen für das Land sind mir in Literatur und in den Medien begegnet. Political correct ist wohl Kirgistan. Es gehört zu den fünf zentralasiatischen Ländern mit der letzten Silbe „-stan”. Ein anderes Beispiel ist Kasachstan.


Landpartie


In Bischkek werden wir herzlich von Taril, unserem Dolmetscher, empfangen. Eine neunstündige Tour zum Basis-Camp liegt vor uns. Am Anfang der etwa 500 Kilometer langen Fahrt rollt der VW-Kleinbus über beste Autobahnpisten. Nach 100 Kilometern beginnen Landstraßen. Je weiter wir uns von der Hauptstadt entfernen, desto mehr verschwindet auch die gewohnte Zivilisation. Ein Auto-Tausch erweist sich als notwendig. Ab jetzt sitzen wir in einem Toyota Land Cruiser. Entfernt tauchen die schneebedeckten 4.000er auf. Linksseitig begrüßt uns eine überlebensgroße Steinbockstatue. Ein Zeichen? Eine Aussage? Ein Status? Egal, auf jeden Fall ein Motivationsschub für uns.
Für die letzten 50 Kilometer benötigen wir fast zwei Stunden: kaputte Brücken, Loch-an-Loch-Wege, mal versandete, mal vereiste Pisten, Zollkontrollen und vieles mehr. Für uns eine Fahrt, die wir trotzdem genießen. Auch wenn das mitgenommene Bier bereits alle ist. Die Natur ist geprägt von beeindruckenden Hochgebirgsszenarien. Wir können uns nicht satt genug sehen an den mächtigen Bergen. Noch bei Tageslicht erreichen wir in einer Höhenlage von 3.500 Meter unser Basis- lager. Es liegt in einem wasserführenden Tal inmitten des Tian-Shan-Gebirges. Wir befinden uns dicht an der Grenze zu China.
Nach gutem Schlaf und einem sättigenden Frühstück kommt der obligatorische Probeschuss. Ich habe meine eigene Waffe mit, ebenso Tobias und Sebastian. Karsten probiert sich an der Leihwaffe. Danach folgt ein wichtiger Punkt: nämlich das Hallo-Sagen zu dem Tier, welchem ich für die nächsten vier Tage mein Wohlergehen anvertraue. Ich nenne es liebevoll „Gaul“.


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Pferde sind unerlässlich. Sie bringen den Bergjäger in die Nähe der Einstände. Dann beginnt die Pirsch (Bild: René Hey)


Auf dem Rücken der Pferde ...


Alles ist gut verpackt. Karsten und Tobias, angeführt von drei Kirgisen, reiten nach Süden, Sebastian und ich nach Norden. Das Jagdgebiet hat übrigens eine Größe von 80.000 Hektar. Wir werden geführt von einem PH und dessen beiden Helfern. In aller Ruhe, aber stetig, bewegt sich die Karawane bergan. Die ersten Kilometer sind für Pferd und Reiter problemlos zu bewältigen.
In der Ferne mache ich Wild aus und weise Sergej, so der Name des jungen Kirgisiers, der vor mir reitet, darauf hin. Natürlich haben die Einheimischen das Rudel Steinwild schon viel länger als ich registriert. Entsprechend sind seine Mimik und Gestik. So, als wolle er mir sagen: „Konzentriere Du Dich auf das Reiten. Damit hast Du genug zu tun. Überlasse uns das Erspähen von Wild.”
Wenige Meter unterhalb eines Bergrückens stoppen wir. Nach einem zweistündigen Ritt ist der Körper froh, in die Bewegungsart zu wechseln, die er gewohnt ist. Wir pirschen höher, sodass wir immer wieder das nächste, vor uns liegende Tal einsehen können. Konzentriert glasen wir die gegenüberliegenden Steilhänge ab, Wild ist jedoch nicht zu entdecken. Also rauf auf die Pferde und weiter. Auf halbem Hang befindet sich ein ausgetretener Pfad. Wahrscheinlich sind unsere Begleiter erst vor wenigen Tagen hier lang, um Wild zu lokalisieren. Die Pferde traben sehr ruhig diesen nur 20 Zentimeter breiten Steg entlang.
Wegen der extremen Steillage kann ich in „Fahrtrichtung“ links fast das Gestein berühren. Den Blick nach rechts in den Abgrund vermeide ich. Es geht verdammt steil abwärts. Ich möchte am liebsten mit „Gaul“ reden, um ihm mitzuteilen, dass ich ihm mein volles Vertrauen schenke. Empfinde das aber zu diesem Zeitpunkt als sehr affig.
Trotzdem schießt mir nun das erste Mal durch den Kopf, dass die Kirgisen spinnen, weil sie ausgerechnet diesen Weg wählen. Es gäbe doch bestimmt weniger angsteinflößende Pfade, um an das gewollte Wild zu gelangen.
Dann ist der Gefahrenbereich überstanden. Wir halten an, da Sergej Steinwild entdeckt hat. Hinter einem Felsen haben wir für das Heranpirschen genug Deckung.Auch der Wind passt. Mein Entfernungsmesser zeigt 230 Meter bis zu einem älteren Steinbock an. Meinem Jagdfreund gehört die erste Gelegenheit zum Weidwerken. Eine verlorene Wette mit ihm brachte vor Wochen schon diese Entscheidung. Konzentriert bringt er den tödlichen Schuss an. Der Steinbock verendet im Feuer. Große Freude bei allen Beteiligten. Das Bergen, obligatorische Fotografieren und Verpacken der Trophäe nimmt drei Stunden in Anspruch. Es ist bereits dunkel, als wir das Camp erreichen.


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Unten: Wetterumschwung. Es wird ungemütlich (Bild: René Hey)


Schneesturm


Der gesamte nächste Tag ist jagdfrei: Dicker Nebel und Starkregen wechseln sich mit Schneetreiben ab. Wir sind froh, im etwas wetterfesteren Basis-Camp und nicht in einem Flycamp weit oben in den Bergen zu sein. Mithilfe des Dolmetschers führen wir interessante Gespräche mit den Einheimischen über deren Kultur und das Jagen in den abgelegenen Revieren.
Der dritte Tag bietet uns Sonne satt, und es ist windstill. Die Aufteilung erfolgt analog dem ersten Tag. Wir erobern heute in der Früh gleich den Steilhang nach Osten. Und spätestens jetzt bin ich froh, auf Anraten meines Reisebüros im Vorfeld dieser Tour einige Reitstunden genommen zu haben. Jetzt macht sich auch meine persönliche Sitzfläche bemerkbar, die noch mit der Regeneration vom ersten Reittag beschäftigt ist und nun Nachschlag erhält. Die Pferde sind diesen steinigen Boden von Geburt an gewöhnt, trotzdem gerät mein „Gaul” ins Stolpern. Was das für einen ungeübten Reiter bedeuten würde, möchte ich nicht beschreiben. Dann findet „Gaul” wieder Halt und kehrt samt mir zum Gleichgewicht zurück. Unser Dolmetscher begleitet heute die andere Gruppe, deshalb wage ich es, laut zu rufen: „Die spinnen, die Kirgisen“. Kurzzeitig hatte ich das Gefühl, dass mein Pferd seinen Reiter nur testen will.
Ein plötzlich einsetzender Schneesturm verwandelt unsere Umgebung in eine Winterlandschaft. Wir suchen Schutz unter einem Felsvorsprung. Solche Wetterkapriolen sind hier oben keine Seltenheit, so der Kirgise. Nach weniger als einer halben Stunde herrscht wieder klares Spätsommerwetter. Vor uns öffnet sich eines der unzähligen Täler. Ein gigantischer Blick auf schnee- bedeckte Berggipfel nimmt mich gefangen. Einmalig. Wir genießen bei einer Brotzeit den Ausblick und glasen suchend nach Wild. Fast zeitgleich machen der Berufsjäger und ich ein Rudel Steinwild aus. Balsam für meine Seele. Der Plan ist schnell gemacht. Der Tag ist noch jung genug, um auf Schussentfernung heranzureiten und -pirschen. Der gewählte Weg ist für mich der bis dato anspruchsvollste (Reiten, Laufen, Kriechen). Der Satz: „Die spinnen, die Kirgisen“ wird zur Nebensache. Ich beginne, mein eigenes Tun zu hinterfragen: Warum tue ich mir diese Strapazen an?
Das Berghochkriechen zeigt mir die Grenzen meiner körperlichen Kondition. Jetzt heißt es kämpfen. Beim Biathlon sagt der Kommentator auch immer: Er ist blau gelaufen und hat keine Körner mehr. Wahrscheinlich hat mich nun dieses Blaulaufen erwischt. Ursächlich auch der minimale Sauerstoffgehalt in der Höhenluft. Wir sind 4.200 Meter über NN.


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(Bild: René Hey)


Mit letzter Kraft


Ich mobilisiere die letzten Körner und erreiche meinen Berufsjäger. Er war wesentlich eher am ersehnten Punkt. Unter uns befindet sich das Rudel, welches wir vor fünf Stunden entdeckten. Der älteste Steinbock ist ausgemacht. Noch ruhen die neun Stücke und genießen die Nachmittagssonne.
Mein Entfernungsmesser zeigt eine Distanz bis zum Ersehnten von 384 Metern. Ein weiteres, unbemerktes Verkürzen der Meterzahl ist unmöglich. Deshalb richte ich mir eine Unterlage für den Schuss her. Mein Puls hat nach der Strapaze des Aufstieges wieder Normalwert erreicht. Nach und nach erheben sich die Böcke. Auch „Meiner“ steht jetzt breit. Am Zielglas habe ich die entsprechende Einstellung vorgenommen. Ich selbst bin ruhig und konzentriere mich auf den Schuss. Es braucht eine gefühlte Ewigkeit, bis der Kugelknall den Bergen entwichen ist. Nach einer kurzer Flucht verendet der alte Asiatische Steinbock. Die Freude ist riesig. Wir fallen uns in die Arme. Und auch die Kirgisen, die natürlich nicht mehr spinnen und alles richtig gemacht haben, wünschen in gebrochenem Deutsch „Weidmannsheil“.
Die beiden 30 Jahre jüngeren Helfer entledigen sich ihrer dicken Sachen und machen sich auf den Weg, um den Steinbock zu bergen. Bloß gut, dass ich nicht gefragt werde, ob ich mitlaufen möchte. Ich würde dankend ablehnen. Zeit, das Erlebte zu rekapitulieren. Ich bringe vor lauter Emotionen kein Wort heraus. Nach zwei Stunden nehme ich Besitz von meiner 14-jährigen Beute. Mit gigantischen Felsen im Hintergrund werde ich damit fotografiert.
Der Ritt zurück ins Basis-Camp ist problemlos. Es schmerzt nichts, die aufgesessenen Blasen gedulden sich bis zur heimatlichen Behandlung. Und „Gaul” ist ebenso gut drauf wie sein Reiter. Im Basislager warten schon unsere beiden Jagdfreunde. Sie weidwerkten heute ebenfalls erfolgreich. Eine lange, feucht-­fröhliche Nacht schließt sich an.


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Der Weidmann genießt diese imposante Kulisse sowie den Blick in weite Fernen (Bild: René Hey)


Die zweite Lizenz


Ein letzter Jagdtag steht uns noch zur Verfügung. Ich habe noch eine weitere Lizenz auf einen Steinbock. Ich biete diese Möglichkeit in der Runde an. Komisch, keiner hat mehr Bock auf Bock. Wir sind sitzfleischtechnisch defekt ...
Und, dass „Die Kirgisen spinnen“, habe ich nie gedacht oder gesagt. Ein herzlicher Weidmannsdank an die neu gewonnenen Jagdfreunde in Kirgistan sowie an meine mitreisenden Spreewälder. Jagdland: Kirgisien ist ein Gebirgsland und wird auch als die „Schweiz Zentralasiens“ bezeichnet. Zwei Gebirge prägen das Land und sind jagdlich von großer Bedeutung. Der Tian-Shan erhebt sich im Norden und Osten des Landes. Und im Südwesten befindet sich der Pamir-Alai.
 

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Es geht heimwärts: Decke und Haupt werden als Trophäen auf dem Pferderücken mitgenommen (Bild: René Hey)
 

Info Steinbockjagd in Kirgistan

Wildarten: Für den begeisterten Berg- jäger werden hervorragende Jagden auf den Sibirischen Steinbock sowie auf Marco-Polo-, Hume- und Tian-Shan-Argali geboten. Weiterhin kommen Wölfe vor und können mitbejagt werden. Kirgistan hat gute Schneeleoparden-Populationen. Mit ein wenig Glück bekommt man diese geschützte Wildart in Anblick.
Einreise: Dafür benötigen Sie einen Reisepass, welcher drei Monate über das Rückreisedatum hinaus gültig sein muss. Es besteht keine Visumpflicht für Staatsbürger aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Jagdwaffe: Eine Waffendeklaration wird vor der Jagd beantragt. Die Ein- sowie Ausfuhr der Jagdwaffe ist damit problemlos möglich. Sie sollten bei Hochgebirgsjagden als Mindestkaliber z. B. .300 Win. Mag. führen. Prima sind die Kaliber .300 Ultra Mag., .300 Weatherby Mag, 8 x 68S und ähnliche.
Ausrüstung: Empfehlenswert ist auf jeden Fall Funktionskleidung (Thermo- unterwäsche, atmungsaktive Oberkleidung, gutes Schuhwerk/Bergstiefel). Weiterhin benötigt man einen guten Tagesrucksack mit breiten Riemen und Bauchgurt. Zudem einen soliden Bergstock.
Körperliche Fitness & Höhenkrankheit: Gejagt wird in einer Höhe von 3.000 bis 4.500 Metern. In den Revieren nutzt man zunächst meist Pferde (deshalb sind vorherige Reitstunden empfehlenswert!) und pirscht zu Fuß in die Einstände. Insgesamt handelt es sich um eine anspruchsvolle Bergjagd. Kondition und Vorbereitung sind von Vorteil. Die sogenannte Höhenkrankheit kommt bei einem längeren Aufenthalt über 3.000 Metern vor. Die Haupt-Camps liegen gewöhnlich nicht über 3.000 Meter, sodass die Krankheit normalerweise nicht auftritt. Am besten ist es, das Thema individuell zu prüfen und ggf. über eine medikamentöse Prophylaxe nachzudenken.
Jagdsaison und Jagdgebiete: Jagdzeit in Kirgistan ist aktuell vom 15. August bis zum 1. Dezember. Das Hauptjagdgebiet für Sibirischen Steinbock und Marco- Polo-Argali befindet sich in der Issyk-KulRegion, südlich des Naryn-Flusses.
Kosten: Die Jagd auf den Sibirischen Steinbock wird mit zehn Reise- sowie fünf/sechs Jagdtagen für etwa 6.100 Euro organisiert. Im Reisepreis enthalten ist die Erlegungsgebühr eines Steinbockes ungeachtet der Trophäenstärke. Als Nebenkosten muss man das Formalitäten-Paket für 590 Euro einplanen. Anreise/Flugkosten und Trinkgelder kommen als persönliche Ausgaben hinzu.
Veranstalter: Adler Tours Ltd. & Co. KG, Tel.: 0049 3935 959951; E-Mail: info@ adlertours.de; Homepage: www.adlertours.de

Autor: André Schneider (& René Hey)