07.07.2023
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10 Min

RF Praxis Raubfisch Praxis

„Deutsche Angler sind die Besten!“

Was macht deutsche Angler im europäischen Vergleich so erfolgreich? Es sind nicht nur die bekannten, deutschen Tugenden, sondern es gibt noch mehr Gründe! Und die erfahren sie hier.Text und Fotos: Steffen Schulz, Max Seitner

„Deutsche Angler sind die Besten!“

Bild: Steffen Schulz

Es ist mit Sicherheit eines der großen Anglerzitate der digitalen Neuzeit: „Swedish anglers are the best!” Obschon stets mit einem Grinsen begleitet, steckt dahinter auch eine gewisse Arroganz und Selbstüberzeugung. Es stammt vom Schweden Tobias Ekvall, YouTuber vom Kanalgratis und Wettkampfpartner von Dustin Schöne. Man muss nur das satzeinleitende Adjektiv „swedish“ durch „german“ ersetzen und schon ist alles stimmig, finde ich. Mal ganz im Ernst und ohne Flunkerei: Deutsche Angler sind mit Abstand die bes­ten. Warum das so ist, möchte ich Ihnen gern einmal aufzeigen.

Deutsche Bürokratie

Einer der wichtigsten Gründe ist für mich die deutsche Bürokratie. Unzählige Beispiele aus diversen Lebens- und Wirtschaftsbereichen könnte man hier anführen. Sebastian Matthes, Chefredakteur des Handelsblatts, schrieb im August 2022, dass Bürokratie und ineffiziente Verwaltungen das Land lähmen. Deutschland stecke in der Komplexitätsfalle. Er spricht wohl jedem Angler aus dem Herzen. An meinem Hausgewässer darf ich vom Boot fischen - ein kleines Wunder. Dieses muss aber dunkelgrün sein. Standup-Paddler dürfen ihrem Hobby frönen, Bellyboote sind verboten. Für ein Kajak bekommt man zwar eine Ausnahmegenehmigung, aber nur wenn es denn farblich passt. Elektromotoren sind für Angler verboten, Segelboote dürfen jedoch bei Flaute zum Rangieren einen betreiben. Wir Angler stehen immer unter Beobachtung, während andere Wassersport-Teilnehmer gefühlt machen können, was sie wollen. Glauben Sie nicht? Na dann schauen Sie bei diesen Regelungen einmal genauer hin: Echolotverbote beim Angeln zu bestimmten Zeiten, Livegeber-Verbote, Angeln nur vom Ufer oder vom verankerten Boot, GPS-Motoren waren erst verboten und dann wieder erlaubt, Ruhezeiten beim Einsatz von Motoren, zum Suchen der Fische dürfen sie aber genutzt werden.

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Geliebte Bürokratie: Betretungsverbote, Angelverbote, verbotene Boote oder Boote verboten - deutsche Angler müssen sich an jedem Gewässer neu anpassen. (Bild: Max Seitner)

Ein altes, skurriles Gesetz hat mich beispielsweise als Jugendlichen viele Jahre dazu verdonnert, Stipper zu sein. Es war mir als Kind in Berlin-Brandenburg schlichtweg untersagt, auf Raubfische zu angeln. Geschadet hat mir diese aufschlussreiche Friedfischzeit allerdings nicht. Das können Sie in meinem Artikel in FISCH&FANG 3/23 gerne nachlesen. Denn wer die Gejagten versteht, fängt später auch die Jäger besser.

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Erfolgreich vom Ufer: Schon zu Studienzeiten war Birger Domeyer den dicken Barschen auf der Spur. Ohne Boot ist das gerade an großen Gewässern alles andere als einfach. (Bild: Steffen Schulz)

Not macht erfinderisch

All diese Gesetze, Regularien und Verbote haben aber auch etwas Gutes. Der deutsche Hobbyangler muss gezwungenermaßen permanent umdenken, wird dazu verdammt, sich anzupassen. Was an einem Gewässer untersagt ist, kann an dem Gewässer daneben bereits wieder erlaubt sein. Hat man sich an die erschwerenden Regularien angepasst, kann man unter besseren Voraussetzungen das Erlernte garantiert erfolgreicher anwenden. Fortschritte sind einfach unausweichlich. Wer einen Zander an einem riesigen See vom Ufer aus fangen kann, der wird es vom Boot noch viel leichter haben. Gut zu sehen war dieser Umstand bei den YouTube Angelformaten „Zanderpro“ und „Perchpro“, wo viele Profis den Zielfischen noch nie wirklich vom Ufer nachgestellt hatten. Logisch, dass hier ein Freddy Harbort oder Dustin Schöne so richtig „rasieren“, wie man Neudeutsch so schön sagt. Hilbert Meyer, ein deutscher Pädagoge, spricht von der sogenannten Vernetzung. Das Übertragen von Wissen auf ähnliche Situationen wird in der Psychologie und Pädagogik als Transfer bezeichnet. Deutsche Angler sind Transferweltmeister im Angeln! Ob uns indirekt auch der deutsche Erfindergeist beziehungsweise die deutsche Produktivität und unser Fleiß in die Angelkarten spielen?

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Großbarsch auf Fliege:Wer in Deutschland regelmäßig kapitale Stachelritter überlistet, hat es im fischträchtigen Ausland immer einfacher. (Bild: Steffen Schulz)

Hoher Angeldruck

Für die laut Robert Arlinghaus rund drei bis vier Millionen Angler gibt es in Deutschland nicht sonderlich viele Angelgewässer, die zudem geografisch sehr unterschiedlich verteilt sind. Von den Gewässertypen ausgehend haben wir fast alles: Bäche und Flüsse sowohl im alpinen Bereich als auch im Tiefland, Baggerseen, Naturseen, Teiche und Sumpfgewässer, tideabhängige Gewässer, Nord- und Ostsee und schließlich die Brackwasser in den Bodden. Für einen kompetitiven Angler ideale Trainingsbedingungen mit den unterschiedlichsten Gegnern, von denen man unglaublich viel lernen kann. Das nationale Trainingslager ist hart, international sind die Gegner in meinen Augen aber leicht zu schlagen. Wer in heimischen Gefilden erfolgreich ist, der räumt im Ausland so richtig ab. Ich erinnere mich hier gern an meine Expedition mit Dirk Fastenau an den Lake Windermere in England. Die Räuber dort haben noch nie moderne Kunstköder und Techniken gesehen. Hier haben wir uns jeden Tag in einen wahrhaftigen Rausch geangelt.

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Auch in England haben deutsche Angler mit ausgefeilten Techniken und einer überlegten Herangehensweise denEinheimischen nicht zum ersten Mal den Rang abgelaufen. (Bild: Steffen Schulz)

Im Bereich der prozentualen Wasserfläche gemessen an der Gesamtfläche sind die Niederlande mit 18,7 Prozent Spitzenrei-ter, gefolgt von Finnland mit 10,1 Prozent, Schweden mit 8,9 Prozent, Estland mit 6,3 Prozent und schließlich Norwegen mit sechs Prozent. Deutschland liegt weit zurück mit gerade einmal rund zwei Prozent. Diese Daten der Internetplattform Worldstat.info zeigen deutlich, wie einfach es die Angler in nordischen Ländern haben müssen. Viel Wasser, wenig Menschen, wenig beangelte Gewässer, niedriger Angeldruck und unerfahrene Fische. Müssten nach dieser Rechnung zum Beispiel Angler aus Österreich, Spanien oder Portu-gal, deren Heimatländer noch weniger Wasser haben, dann nicht besser sein als die deutschen? Weit gefehlt. Denn ohne ausreichend verschiedene Gewässer und Angelmöglichkeiten, gepaart mit dem hier vorherrschenden hohen Angeldruck, kann sich erst gar kein Superangler entwickeln. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

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Flexibel zu sein, ist in Deutschland ein Muss. Wenig Wasserfläche und viele unterschiedliche Gewässertypen sowie Fischarten stellen hiesige Angler vor immer neue Herausforderungen. (Bild: Steffen Schulz)
 

Gute Nachbarschaft

In Europa gibt es kein Land mit so vielen Nachbarstaaten wie Deutschland, sofern man bei Frankreich die Überseegebiete außer Acht lässt. Weltweit liegt Deutschland zusammen mit der Demokratischen Republik Kongo auf Rang vier, hinter Brasilien mit zehn Nachbarländern und den beiden unangefochtenen Spitzenreitern China und Russland. Diese haben jeweils 14 Nachbarländer. Unsere Anrainerstaaten sind schnell erreichbar, sodass ein reger Austausch zwischen Anglern, auch räumlich gesehen, regelmäßig stattfindet. Gerade an den Boddengewässern trifft man viele Nationen in Form von Angeltouristen an. Ein weiterer Vorteil für deutsche Angler. Man kommt mit unzähligen Trends eben nicht nur in der virtuellen Welt, sondern eben direkt am Wasser in Kontakt. Ein weiterer lernpsychologischer Vorteil à la Montessori. Nicht umsonst stammen viele Techniken und Köder von deutschen Anglern, die Neuerungen entwickelt oder ausgebaut haben.

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Wichtiger Austausch: Steffens erster 40+ Barsch aus Cambrai/Nordfrankreich. Führungstechnik und die Wahl des richtigen Hardbaits lernte er vor Ort von Angelkumpel Jeremy. (Bild: Steffen Schulz)

In den nordischen Ländern kann man es sich leisten, schlechter zu angeln und trotzdem gut oder gar überragend gut zu fangen. Aber auch in diesen Regionen fangen deutsche Angler beziehungsweise ihre deutschen Herangehensweisen und Methoden einfach besser. Als reiner Fliegenfischer bin ich regelmäßig schockiert, wie gut dort auf bunte, knallige und teils riesige Fliegenmuster gefangen wird. Jedes Muster aus meiner Box würde dort mindes­tens genauso gut fangen. Kumpels, die dort vernetzt sind, haben es auch mehrfach bewiesen. In Holland oder in meinen deutschen Seen fangen diese Undinger extrem schlecht.

Gleiches gilt auch für meine Kumpels Timo und Freddy, die im europäischen Ausland nicht nur bei Wettkämpfen hervorragend abschneiden. Timo lebt in Norwegen und hat es dort als Deutscher, der in der Heimat nur allzu oft Seife kauen musste, deutlich einfacher und fängt erheblich besser als die alteingesessenen Lokalmatadore. Auch das regelmäßig sehr gute Abschneiden deutscher Angler bei europäischen Großveranstaltungen ist hinreichend bekannt. Von den vielen unbekannten, extrem erfolgreichen Gesichtern im Netz mal ganz abgesehen. Ob es am Ende immer um das „am besten sein“ geht, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Eine Lanze für uns bürokratiegeplagte, deutsche Angler möchte ich aber ganz sicher brechen. Dieser Umstand hat vielleicht eben doch auch eine gute Seite, der uns im Mix mit den anderen genannten Faktoren am Wasser einfach sehr erfolgreich macht.

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Bei Wettbewerben immer vorne mit dabei - für den Autor sind deutsche Angler die wahren Adaptionskünstler. (Bild: Steffen Schulz)

Autor: Steffen Schulz